Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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162 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
einen Weg, der nicht mit dem Wahnsinn endet, sondern mit dem privaten<br />
Glück, mit der Verwirklichung der eigenen Wünsche?<br />
Diese Episode zeigt <strong>di</strong>e Notwen<strong>di</strong>gkeit der Liebe, ihr Wunder nicht als<br />
transzendentales Erlösungsmittel, das <strong>di</strong>e Realität, <strong>di</strong>e konkreten Schwierigkeiten<br />
besiegen kann, sondern als Möglichkeit der wahren Kommunikation,<br />
der intersubjektiven Verstän<strong>di</strong>gung: Wenn das Ich als Bedeutetes sich als<br />
Spiegelung aus der Retrospektive des Sprechaktes selbst konstituiert, so bleibt <strong>di</strong>e<br />
Identitätsstiftung durch Sprache beim Reden auf einen intersubjektiven<br />
Begriff von Identität verwiesen. Dank <strong>di</strong>esem Wechselwirken durch Sprache<br />
erfährt <strong>di</strong>e Ich-Konstitution – über den Leib als Ausdrucksfeld des<br />
Mitmenschen – <strong>di</strong>e Einheit mit sich selbst im Anderen. 42<br />
Wenn der Körper nicht dazu bereit ist, den Anderen zu akzeptieren,<br />
dann treten <strong>di</strong>e Worte an seine Stelle und schaffen Nähe und Vertrautheit.<br />
So scheitert zuerst <strong>di</strong>e physische Interaktion:<br />
»Rudolf legte seine Hände auf <strong>di</strong>e Schultern Bertas. Berta wandte ihren<br />
Kopf ab und ihr Körper wurde steif.« (S.V., S. 42)<br />
Aber Rudolf versucht weiter, Kontakt zu Berta herzustellen, mit Geigespielen<br />
und einem Lächeln („gleich einem Kind“, betont <strong>di</strong>e Erzählerinstanz,<br />
also nicht zweckmäßig wie Wilhelm, sondern spontan und naiv), das<br />
sicher keine Maske ist, weil <strong>di</strong>e Augen auch etwas ausdrücken, wie uns <strong>di</strong>e<br />
Erzählebene erklärt:<br />
» ›Hast du einen besonderen Wunsch?‹ fragte Rudolf, in dessen Augen<br />
Übermut mit Schwermut wetteiferte.« (S.V., S. 43)<br />
Durch <strong>di</strong>ese Frage signalisiert der Sprecher, dass er <strong>di</strong>e Gesprächspartnerin<br />
als In<strong>di</strong>viduum anerkennt, dessen Wünsche und Emotionen er nicht<br />
unterschätzt oder abqualifiziert, wie es <strong>di</strong>e „Freun<strong>di</strong>n Wilhelmine“ immer<br />
wieder macht. Im Gegenteil, er bestätigt sie und akzeptiert, da er sich<br />
42 Vgl. dazu Karsta Frank, Sprachgewalt. Die sprachliche Reproduktion der Geschlechterhierarchie<br />
(1992), S. 72. Zu der Ich-Identität wird Folgendes bemerkt: »Mit Ich-Identität ist nicht<br />
etwa ein starres Selbstbild gemeint, sondern <strong>di</strong>e Fähigkeit, Balance zu halten zwischen den<br />
widersprüchlichen Erwartungen anderer und den eigenen Bedürfnissen, zwischen der<br />
Darstellung der eigenen, situationsübergreifenden In<strong>di</strong>vidualität und der Notwen<strong>di</strong>gkeit,<br />
dafür <strong>di</strong>e Anerkennung der anderen zu gewinnen.« Karsta Frank zitiert <strong>di</strong>esbezüglich <strong>di</strong>e<br />
Arbeit von Lothar Krappmann, Soziolinguistische Dimensionen der Identität. Strukturelle Be<strong>di</strong>ngungen<br />
für <strong>di</strong>e Teilnahme an Interaktionsprozessen, 6. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta, 1982, S. 9.