Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 163<br />
selbst in ihrer kindlichen Vorliebe für Johann Strauß wiedererkennt. Durch<br />
<strong>di</strong>ese Frage ermutigt, antwortet das Mädchen:<br />
» ›Ich habs! Die Aquarelle von Strauß will ich hören! Ja. Ja. Das will<br />
ich.‹ « (S.V., S. 43)<br />
Erfreut durch <strong>di</strong>e Aufmerksamkeit Rudolfs und durch sein Geigespielen,<br />
bemerkt sie <strong>di</strong>e Kälte des ungeheizten Raumes nicht. Da kann sie<br />
plötzlich <strong>di</strong>e Schwerkraft der Verhältnisse, <strong>di</strong>e Sorgen, den Kummer wegen<br />
der Brüder vergessen, <strong>di</strong>e Soldaten an der Kriegesfront sind und seit<br />
einiger Zeit nichts mehr von sich haben hören lassen.<br />
Ihr Gesicht drückt jetzt einen „leichtsinnigen warmen Schmerz“ aus,<br />
der – wie <strong>di</strong>e Erzählerinstanz erläutert – typisch für <strong>di</strong>e Kinder ist, wie eine<br />
sehr junge Frau,<br />
»[...] <strong>di</strong>e glaubt, jetzt ist es Zeit, <strong>di</strong>e Arme weit auszubreiten und am<br />
besten <strong>di</strong>e ganze Erde auf einmal zu umarmen und zu liebkosen.«<br />
(S.V., S. 44)<br />
Durch das Gespräch mit Berta, <strong>di</strong>e ja mit sehr wortkargen, elliptischen<br />
Sätzen auf <strong>di</strong>e Fragen Rudolfs antwortet, erschließt er <strong>di</strong>e Natur des Mädchens<br />
und formuliert auch einen eigenen Begriff des Lebens und des<br />
Glücks: jene von ihm bisher verachtete Leichtigkeit, <strong>di</strong>e er als Lehrer „eher<br />
schlüpfrig und verlogen“ bewertet hatte, scheint jetzt im Laufe der<br />
verbalen Kommunikation, und vor der Liebesnacht, einen neuen Sinn zu bekommen.<br />
In der „feierlich anmutenden Innerlichkeit“ der Geliebten entdeckt<br />
er den Kern seiner eigenen Persönlichkeit und eine gemeinsame,<br />
mögliche Zukunftsperspektive, unter dem gemeinsamen Symbol der „leichten“<br />
Musik von Johann Strauß:<br />
»Und als Berta vom Geiger Rudolf den Donauwalzer forderte,<br />
glaubte er schon selbst, <strong>di</strong>e Donau sei so blau und ewig, glaubte, daß<br />
man allem zum Trotz das Recht habe, glücklich zu sein, daß kein<br />
Anlaß zu Trauer und Schwermut bestehe [...].« (S.V., S. 44)<br />
Infolge <strong>di</strong>eser verbalen Verstän<strong>di</strong>gung und der gespielten Musik, <strong>di</strong>e<br />
dem Unbewussten beider eine Stimme verliehen hat, können auch <strong>di</strong>e<br />
Körper endlich kommunizieren:<br />
»Als Rudolf <strong>di</strong>e Geige zurück in <strong>di</strong>e Kommode legte und auf Berta<br />
zuging, <strong>di</strong>e auf ihrem Bett saß, wandte sie ihren Kopf nicht mehr ab,<br />
und ihr Körper hatte seine Steifheit verloren; er fühlte sich weich<br />
und nachgiebig an.« (S.V., S. 45)