Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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86 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Diese Stelle stellt den ganzen Beziehungskomplex des Textes dar. Die<br />
Erzählerin findet sich in der selbst als Muster gewählten Frau wieder und<br />
registriert mit leisem Ton <strong>di</strong>e Identifikationsvorgänge und am Ende auch<br />
das erlösende Auseinandertreten der zwei weiblichen Personen: während<br />
Kathleen eine Frau ist, »[...] <strong>di</strong>e Geschichten schreibt und an einer Krankheit<br />
stirbt.« (Die Kr., S. 9), kann <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin sich am Ende mit der<br />
Perspektive des Abschieds aktiv wieder konfrontieren.<br />
»In meiner Erzählung Die Kränkung habe ich versucht, <strong>di</strong>e Zusammenhänge<br />
zwischen Lebensführung und Krankheitswahl darzustellen.<br />
Verschiedene Aspekte der Krankheit habe ich dabei an Katherine<br />
Mansfield abgehandelt, <strong>di</strong>e ich als Kathleen, wie sie eigentlich<br />
hieß, in meiner Geschichte auftreten lasse.« 64<br />
In Alle Krankheit verwandelte Liebe? Über Tuberkulose und Literatur beschreibt<br />
Evelyn Schlag <strong>di</strong>e Entwicklung ihres Verhältnisses zu der gebürtigen<br />
Neuseeländerin, zu der sie eine echte Seelenverwandtschaft spürt, wie<br />
ihrerseits <strong>di</strong>e Mansfield zu einem anderen Autor, John Keats. Über John<br />
Keats schrieb Evelyn Schlag als Anglistikstudentin in Wien eine Seminararbeit,<br />
zu einer Zeit, in der ihre erste Tuberkuloseerkrankung fünf Jahre<br />
zurück lag: <strong>di</strong>e Studentin empfand also eine tiefe Verbundenheit mit dem<br />
toten englischen Dichter, obwohl sie sich in gewisser Entfernung zu der<br />
Krankheitserfahrung befand. Während einer Schottlandreise entdeckte sie<br />
dann <strong>di</strong>e Taschenbuchausgabe von Katherine Mansfields Letters and journals:<br />
schmerzhafte, lebenswichtige Motive tauchen in <strong>di</strong>esen Seiten auf, <strong>di</strong>e<br />
Entdeckung der Krankheit und <strong>di</strong>e Angst vor dem Krankwerden sowie vor<br />
der Trennung.<br />
Im erfundenen Dialog, so erklärt <strong>di</strong>e Autorin, sind Tagebuchpassagen<br />
und Briefzitate vermischt: Das Montageverfahren reproduziert <strong>di</strong>e symbiotische<br />
Beziehung zwischen der Autorin bzw. der Ich-Erzählerin und<br />
der verstorbenen Kathleen, <strong>di</strong>e als „Kunstfigur“ wieder auftaucht, und wie<br />
„eine im Haus Mitlebende“ behandelt bei ihr anwesend ist. 65<br />
Diese symbolische Präsenz der imaginären (weiblichen) Figur – Kathleen<br />
genannt – wirkt entscheidend, belebend und ermunternd für <strong>di</strong>e Ich-<br />
Erzählerin, um den Schmerz zu ertragen und später zu lindern, den ihr der<br />
Lebensgefährte Jack, ein Linguist, durch sein <strong>di</strong>stanziertes Verhalten bereitet.<br />
Die sich immer öfter wiederholende Abwesenheit des Geliebten ist ein<br />
64 Evelyn Schlag, Alle Krankheit verwandelte Liebe? Über Tuberkulose und Literatur, S. 145.<br />
65 Evelyn Schlag, Alle Krankheit verwandelte Liebe? Über Tuberkulose und Literatur, S. 151.