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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 73<br />

So selbstbewusst fühlt sich der Protagonist, während er schon auf der<br />

Suche nach etwas Anderem ist:<br />

»Ich suche und weiß nicht, wen. Man sehnt sich doch, man sehnt<br />

sich doch. So sehr sehnt man sich.« (BR, S. 37)<br />

Ein erstes Milderungsgefühl empfindet er, wenn er zum ersten Mal das<br />

Wochenendhaus auf dem Lande erreicht. „In der absoluten Lautlosigkeit“<br />

gibt er sich selbst Ratschläge:<br />

»Ruhig werden, sich Zeit geben. War das nur hier möglich?«<br />

Er ist wie ein verwirrtes Kind, das an etwas Verlorenes denkt, dem nachgetrauert<br />

wird:<br />

»Er liebte seine Stadt jetzt wie nie zuvor. Ich muß sie ja nicht verlassen,<br />

dachte er wie ein Kind.« (BR, S. 41)<br />

Aber wegen seiner „Krankheit“ ist es ihm nicht mehr möglich, <strong>di</strong>e Beziehung<br />

zur Stadt – metaphorisch zu der logischen, rationalen, in den<br />

Konventionen erstarrten Seite seines Lebens – wieder zu beleben:<br />

»Krankhaft, nur um des Weges willen zog er durch <strong>di</strong>e Stadt. […] Es<br />

ekelte ihn, mit der Stadtlandschaft in Berührung zu kommen.«<br />

(BR, S. 44)<br />

In einem einzigen Schaufenster eines kleinen Ladens, „Lilly’s Werkstatt“,<br />

erkennt er sich selbst in einer Puppe bzw. in einem Kasperl, der<br />

Tränen auf den Wangen gestockt trägt. Als Mann kann er <strong>di</strong>e eigene<br />

Schwäche, <strong>di</strong>e existentielle Erschöpfung, <strong>di</strong>e er ja mehrmals sprachlich<br />

ausdrückt (»Ich bin erschöpft von meiner ganzen Existenz, vom minütlichen<br />

Überleben«, gesteht er sich selbst, BR, S. 17), nicht durch <strong>di</strong>e Körpersprache<br />

äußern. So stehen <strong>di</strong>e Tränen des Kasperls als Symbol für <strong>di</strong>e<br />

Tränen, <strong>di</strong>e er nicht vergießen darf, für <strong>di</strong>e Symptome des Schmerzes, den<br />

er ja empfindet, aber nicht zeigen will.<br />

Wie von Braun in ihrem Buch anmerkt, sucht der Hysteriker durch alle<br />

Symptome von „Unmännlichkeit“ sein ich, d.h. seine Empfindsamkeit,<br />

sein ich, <strong>di</strong>e Frau in sich, das Sexualwesen zu wahren:<br />

»[...] indem er <strong>di</strong>e Frau in sich am Leben erhält. Er versucht, den<br />

„Mann“ zu retten, indem er dessen weibliche Seiten zur Schau<br />

stellt.« 54<br />

54 Christina von Braun, Nicht ich: Logik, Lüge, Libido, S. 334.

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