Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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200 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
In ihren Texten zeigt <strong>di</strong>e Autorin, wie erschreckend, erbarmungslos<br />
eine für endgültig gehaltene und vorgeschriebene Ordnung im Leben der<br />
Menschen, der Frauen insbesondere, wirken kann. Sie beweist, wie man/<br />
frau <strong>di</strong>e Sprache anwenden kann, ohne dem ordnenden Denken passiv zu<br />
gehorchen.<br />
Zu ihren Behauptungen finde ich einen Beitrag besonders passend, der<br />
sich mit der Frage der weiblichen Schrift befasst und das Unbehagen ausdrückt,<br />
welches viele spüren, wenn sie <strong>di</strong>e Methode des epistemologischen<br />
Formalismus und dessen Logiken28 gebrauchen müssen, um von einem<br />
Publikum (Zuhörern, Schülern, aber auch Freunden oder Verwandten)<br />
akzeptiert zu werden.<br />
Das ordnende Denken, das identifizierende und klassifizierende Denken ist<br />
männlich: seine Definitionen sind ein für allemal formuliert, seine Logik<br />
erlaubt keine Zweifel, Fragen zu stellen ist ein Zeichen der Selbstunsicherheit,<br />
keine endgültigen Antworten zu geben wird als „In<strong>di</strong>z“ für <strong>di</strong>e<br />
„Verwirrung“ oder Unfähigkeit der Sprecherin verurteilt. Wenn man/frau<br />
eine Rede hält, muss man/frau „männlich“ wirken, d.h. mit lauter Stimme,<br />
mit Entschiedenheit, ohne Pausen, mit schönen langen Sätzen, <strong>di</strong>e zu einem<br />
harmonischen Ganzen beitragen sollen, oder besser zu einer schematischen<br />
Ordnung, <strong>di</strong>e eine These beweisen wird.<br />
Damit wird nicht behauptet, dass man/frau „unvernünftig“ stottern,<br />
oder auf <strong>di</strong>e Logik verzichten muss, sondern, dass man/frau eine andere<br />
Logik einfach braucht, eine „andere Optik“, <strong>di</strong>e neue Gesichtspunkte, andere<br />
Annäherungsstrategien zur Realität auftauchen lässt. Diese andere<br />
Logik kann auch mit Lust ausgedrückt werden, d.h. mit Pathos, mit einer<br />
leben<strong>di</strong>gen Stimme, mit einer neuen Syntax, mit einer neuen Verwendung<br />
der Worte.<br />
In Bezug auf Platons wohlbekannten Prozess gegen das Schreiben (in<br />
Phaidros, wo das Schreiben als statischer Umriss ohne Identität, als Tochter des<br />
Logos, <strong>di</strong>e ihren Vater verloren hatte, erscheint), findet <strong>di</strong>e Italienerin<br />
Wanda Tommasi, Autorin des Aufsatzes Die Versuchung des Neutrums den<br />
unerhörten Mut, <strong>di</strong>e Schwierigkeiten der Frau beim „vollen Gebrauch der<br />
Sprache“ zu thematisieren:<br />
»Frauen und Schrift sind in gewisser Hinsicht Verbündete: viele von<br />
uns haben Schwierigkeiten, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten<br />
und sprechen sollen, es fällt uns schwer, <strong>di</strong>e volle Verantwortung für<br />
28 Vgl. dazu <strong>di</strong>e Position der französischen Philosophin Luce Irigaray, im folgenden<br />
Abschnitt erläutet.