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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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108 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

»Es würde ihm nicht gedankt werden, keine Frucht tragen. Es würde<br />

das bloße Weitermachen sein, sonst nichts. Was war besser – jemanden<br />

aus Leidenschaft zu verletzen oder aus Pflichtgefühl?« (U.F.,<br />

S. 31)<br />

Seit Jahren sind sie ein Liebespaar, aber nur im Geheimen, weil der<br />

Mann verheiratet ist und in Stuttgart mit der Familie nach einem bis ins<br />

Detail festgelegten Schema lebt.<br />

Ein Grundthema der Erzählung ist das so genannte Doppelleben, das<br />

viele wirklich leben können oder wovon sie einfach nur träumen, nach<br />

dem Grad des Mutes und des Willens, <strong>di</strong>e Initiative zu ergreifen und das<br />

eigene Potential zu realisieren.<br />

»Schon wenn sie ihre Züge bestiegen, sie in Wien, er in Stuttgart,<br />

wurden sie andere. Sie übersiedelten mit ihren Körpern in eine andere<br />

Seinsform, konturiert von Begehren und Selbstgewißheit.«<br />

(U.F., S. 71)<br />

Glücklich ist er mit seiner Frau eigentlich nicht: sie versteht ihn nicht,<br />

sie zeigt kein Gefühl des Verständnisses, sie findet keine Worte des Trostes<br />

oder der Zuneigung. An <strong>di</strong>eser sprachlichen und emotionellen Distanz<br />

scheitert <strong>di</strong>e Ehe, <strong>di</strong>e trotzdem aus Konvention und Pflichtgefühl weitergeführt<br />

wird.<br />

Joachim erzählt Gudrun <strong>di</strong>e Geschichte <strong>di</strong>eses Unbehagens: wegen eines<br />

unerklärlichen Schmerzes musste er zum Ultraschall. In der Or<strong>di</strong>nation<br />

befreite ihn aber der Arzt von der Angst, indem er ihm sagte, dass<br />

alles in Ordnung sei. Ohne Befund.<br />

Zu Hause fragte ihn seine Frau nicht nach dem Ergebnis der Untersuchung,<br />

und als er ihr trotzdem sagte: »Es war ohnehin nichts«, da sah sie<br />

ihn ohne jeglichen Ausdruck an:<br />

»Sie sah ihn an, wie man den Fremden in der Straßenbahn, der einem<br />

durch das Gedränge zu nahe gekommen ist, ein paar Sekunden lang<br />

ansehen muß, ehe man mit dem Blick hinter <strong>di</strong>e Lider flüchtet.«<br />

(U.F., S. 21)<br />

Joachim erzählt, dass er sich dank der Worte „Ohne Befund“ wieder<br />

gerettet gefühlt habe, wie neugeboren, wieder bereit zu leben. Aber seine<br />

Frau war nicht imstande, etwas dazu zu sagen, sie wollte oder konnte <strong>di</strong>e<br />

emotionelle, physische und geistige Befindlichkeit des Mannes weder verstehen<br />

noch ausdrücken:<br />

» ›[...] Sie hat nicht zugegeben – sie hat mir nicht zugestanden, daß ich

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