Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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22 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Solchen Reden, solcher blinden Verabsolutierung der Technik – der<br />
menschlichen Phantasie und Kreativität gegenüber – muss eine Gegenposition<br />
entgegengesetzt werden.<br />
Dazu will ich noch einmal Christoph Wilhelm Aigner zitieren:<br />
»Dichtung ist mir daher etwas anderes als ein intellektuelles Spiel.<br />
Denn Wörter wie Worte erzeugen Wirklichkeit. Sie haben Folgen, <strong>di</strong>e<br />
an einem haften, oft nicht wieder zu entfernen sind und <strong>di</strong>e Haut des<br />
Bewusstseins durchwachsen.«<br />
Das bedeutet nicht, dass man/frau <strong>di</strong>e Verfahren der Ratio, ihre Nützlichkeit<br />
verleugnen oder unterschätzen will: Es ist aber darauf hinzuweisen,<br />
dass der Mensch (Mann und Frau) nicht nur aus Ratio besteht sowie<br />
literarische Werke nicht nur rein formalistisch als textuelle Umfelder zu<br />
betrachten sind, sondern dass sie manchmal den Leser/<strong>di</strong>e Leserin anzusprechen<br />
wissen, einfach weil sie eine Aura ausstrahlen, <strong>di</strong>e ihrerseits aus<br />
Ahnungen, Träumen, Emotionen, Empfindungen, authentischen Erlebnissen,<br />
Intuitionen, aus dem Werden des Lebens entspringt, welche <strong>di</strong>e<br />
Lesenden emotionell wie intellektuell bereichern können:<br />
»Ich leugne nicht <strong>di</strong>e Ästhetik der Ratio, nicht ihre Nützlichkeit, ich<br />
will nur darauf hinweisen, dass sie ein Spezialgebiet innerhalb unseres<br />
Erkenntnis- und Empfindungshorizonts bewohnt und ihre Grenzübertritte<br />
zuweilen etwas gewaltsam sind, hier Empfindungen unterdrücken,<br />
dort Gefühle erschlagen, Ahnungen foltern, Träume schikanieren,<br />
bis <strong>di</strong>ese bereit sind, irgend etwas auszusagen oder Abbitte zu<br />
leisten.« 15<br />
In <strong>di</strong>eser Perspektive bietet <strong>di</strong>e Literatur <strong>di</strong>e einzigartige Chance, Einblick<br />
in <strong>di</strong>e Texte zu gewinnen und zur gleichen Zeit Einsicht in sich<br />
selbst, in <strong>di</strong>e eigenen Denk- und Sprachgewohnheiten, <strong>di</strong>e Chance auf Erkenntnis.<br />
Die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen, indem Texte <strong>di</strong>alogisch ausgefragt<br />
werden, könnte einigen vielleicht etwas subjektiv erscheinen. Im<br />
Grunde aber handelt es sich dabei um eine Lebensnotwen<strong>di</strong>gkeit für alle,<br />
und dazu soll (auch) Literaturvermittlung erziehen, zu der Aufwertung der<br />
rationalen Analyse sowie der „anderen“ Fähigkeiten: damit man/frau lernt,<br />
sich in <strong>di</strong>e Texte einzuüben, aber auch Emotionen zu empfinden, Träume zu<br />
erleben und zu erzählen, Ahnungen nicht zu unterschätzen, Intuitionen Folge<br />
zu leisten.<br />
15 Christoph Wilhelm Aigner, Engel der Dichtung, S. 22 und S. 79.