Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 211<br />
»Wir haben es versäumt, ihn (den Zweck) in und außer uns zu setzen.<br />
Uns zu lieben und zu wollen. Das kann nur ein göttliches Projekt<br />
sein. Gott denkt und liebt sich selbst.« 50<br />
Rosemarie Lederer kommentiert <strong>di</strong>eses Zitat, indem sie daran erinnert,<br />
dass der Entzug <strong>di</strong>eses göttlichen Teils der Selbstliebe <strong>di</strong>e Frauen zu unvollkommenen,<br />
verunsicherten, schwachen Kreaturen gemacht habe. Die<br />
Lösung wäre eine „sich selbst bewusste Liebe“, denn:<br />
»ein auf sich selbst gerichtetes Denken sei notwen<strong>di</strong>g, das auf <strong>di</strong>e<br />
Liebe nicht verzichtet, jedoch ohne ihr deshalb unterworfen zu sein.<br />
Liebe zum Anderen, ohne Liebe zu sich selbst, ist Unterwerfung.« 51<br />
Worin bestand der Sinn für <strong>di</strong>e Frauen der Vergangenheit? Wie können<br />
<strong>di</strong>e Frauen der Gegenwart Selbstliebe, Liebe zum Weiblichen als Selbst, als<br />
„Frau-Sein“ entwickeln?<br />
»Die Selbstliebe auf seiten der Frau [...]. Diese Liebe ist in unserer<br />
Tra<strong>di</strong>tion noch schwerer herzustellen. Obwohl sie einfacher sein<br />
könnte? Einfacher und schwieriger.<br />
Historisch hat das Weibliche zur Konstitution der Selbstliebe des<br />
Mannes ge<strong>di</strong>ent.« 52<br />
Eines der wesentlichen Probleme innerhalb der prozessualen Bewusstwerdung<br />
der Frauen in der gegenwärtigen Gesellschaft, betont Luce<br />
Irigaray, besteht darin, dass <strong>di</strong>e Frauen nicht fähig sind, Selbstliebe zu<br />
empfinden. Und Selbstliebe ist <strong>di</strong>e Voraussetzung, um zu lieben.<br />
»Sie können den anderen, den Mann, weder lieben noch begehren,<br />
wenn sie sich nicht lieben.« 53<br />
Innerhalb eines sozialen Kontextes, der sich immer mehr von der patriarchalischen<br />
Ordnung befreit, spielen sie <strong>di</strong>e Rolle der „Hüterinnen der<br />
Liebe“ nicht mehr, und wollen es auch nicht, weil sie sich ihrer Würde<br />
(oft, nicht immer) bewusst sind, als Subjekte, <strong>di</strong>e endlich imstande wären,<br />
ihr Schicksal zu beherrschen und freiwillig, autonom zu determinieren:<br />
daher können sie auch an einen totalisierenden Begriff der Liebe, an <strong>di</strong>e<br />
Idee der „idealisierenden“ Liebe als Erlösung glauben.<br />
50 Luce Irigaray, Genealogie der Geschlechter, Freiburg i. Br.: Kore Verlag, 1989, S. 113.<br />
51 So Rosemarie Lederer (1998) in Bezug auf Luce Irigaray, S. 156.<br />
52 Luce Irigaray, Ethik der sexuellen Differenz (1991), S. 76.<br />
53 Luce Irigaray (1991), S. 81.