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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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178 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

3.7.1. Die Festung als Symbol des Logos. Oder: Wie erfolgt <strong>di</strong>e Erstarrung<br />

der Sprache und des Denkens der Ordnung zuliebe? Und: Wie kann<br />

man/frau im Text Sprengkräfte hervorrufen, <strong>di</strong>e zum Blick-Richtungs-Wechsel<br />

beitragen?<br />

»Aus der Angleichung an das Ideal, aus der Rettung Bertas und Rudolfs<br />

vor der Schwerkraft der Verhältnisse war schlicht und einfach<br />

ein Doppelmord mit gescheitertem Selbstmordversuch einer Wahnsinnigen<br />

geworden.« (S.V., S. 89)<br />

In der Irrenanstalt eingesperrt lebt Berta weiter, <strong>di</strong>e ihre Kinder erwürgt<br />

und sich selbst in ein Fleischmesser gestürzt hat.<br />

Die „prägendenden und modellierenden Tatzen des Lebens“ haben<br />

ihre Seele entleert und sie in Wahnsinn verfallen lassen.<br />

Die Sprachlosigkeit ist jetzt fast total geworden, und in den Augen der<br />

„Kicher-Berta“ – sie kichert weiter, als müsste sie mechanisch, als entleerte<br />

Puppe, den Mechanismus des Lebens zwangsläufig weiterführen – „flackert“<br />

weiter nur Angst und Entsetzen.<br />

Aber gerade in ihrem Wahnsinn kann und muss Berta <strong>di</strong>e Logik entdecken,<br />

<strong>di</strong>e ihre Existenz und das Leben „draußen“ determiniert hat.<br />

»Das Leben ist eine Wunde, und <strong>di</strong>ese Wunde heilt so schwer.«<br />

Die Festung gilt also als das große ICH, <strong>di</strong>e gesellschaftliche Instanz,<br />

<strong>di</strong>e vom Logos <strong>di</strong>ktierte Norm, der das kleine ich, <strong>di</strong>e In<strong>di</strong>vidualität des<br />

Einzelnen zu unterliegen hat. Diese Interpretationshypothese bezieht sich<br />

auf <strong>di</strong>e Aussagen der Schriftstellerin, <strong>di</strong>e im Text Aus Briefen der Autorin an<br />

den Lektor explizit gegen <strong>di</strong>e Ästhetik der Ordnung und der Perfektion angeht,<br />

gegen <strong>di</strong>e „spiegelnde Glätte“ der Sätze, <strong>di</strong>e Realität verkleiden,<br />

gleichmachen und gleichschalten wollen, damit keine Brüche, keine Risse<br />

mehr zu sehen sind, durch einen präzis beschriebenen Prozess:<br />

»[...] Wirklichkeiten werden durch das engmaschige Netz aus Übereinkünften<br />

„regelrecht“ Verkleidungen angetan [...].« 50<br />

Diese förmliche Umkleidung verzerrt <strong>di</strong>e Wirklichkeit, so dass es sehr<br />

schwierig wird, an sie heranzukommen:<br />

»[...] glatte Sätze, blendend wie Brillanten, gläserne Berge wie Menschen<br />

aus Glas, glatte, spiegelartige, angeblich dem Himmel näher<br />

50 Marianne Fritz, Aus Briefen der Autorin an den Lektor. In: »Was soll man da machen«.<br />

Eine Einführung zu dem Roman ›Dessen Sprache du nicht verstehst‹, S. 7.

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