Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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208 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
stellt sich als „Bericht“ in der eher ungewöhnlichen Sie-Form vor, indem<br />
<strong>di</strong>e Textpraxis den Bewusstwerdungsprozess der Hauptfigur Lisa rekonstruiert.<br />
Die Figur der Lisa Liebich, oft von der Kritik ironisiert, stellt sich am<br />
Anfang ganz naiv und offen vor, indem sie einen Liebesbrief an einen Dr.<br />
Adrian schreibt, in den sie sich verliebt hat. Im Laufe des Romans erweist<br />
sie sich aber vielmehr als Anti-Hel<strong>di</strong>n: nach dem sie 39 Jahre ihrer Existenz<br />
im sinnlosen Warten (auf das Glück, auf den „richtigen“ Mann, auf das<br />
„richtige“ Leben) verbracht hat, entscheidet sich Lisa am Ende, wegzufahren,<br />
<strong>di</strong>e tra<strong>di</strong>tionellen Erwartungen der Leser/Leserinnen sicher entlarvend<br />
und enttäuschend.<br />
Die Konzeption der Autorin entspricht ihrer Kritik an der patriarchalischen<br />
Gesellschaft, wo uns irgendeine Erlösung versprochen wird, irgendwelche<br />
Werte als zu erreichende Ziele vorgegeben werden, im Laufe<br />
eines unendlichen Verschiebens, welches das Jenseits preist, während das<br />
hic et nunc stän<strong>di</strong>g abgewertet und ignoriert wirt. In Bezug auf <strong>di</strong>eses in<strong>di</strong>viduell<br />
und kollektiv sinnlose Warten als Grundsituation für unsere Kultur hat<br />
Marlene Streeruwitz in ihren Tübinger Poetikvorlesungen folgendes bemerkt:<br />
»Wir leben in Erwartung. Immerhin erwarten wir eine Ewigkeit. Um <strong>di</strong>ese<br />
Erwartung aufrechterhalten und beschreiben zu können, wurde der Begriff<br />
der Zukunft erfunden. Einer abstrakten Zukunft, in <strong>di</strong>e <strong>di</strong>e Erfüllung jeder<br />
Sehnsucht verschoben werden kann [...] Sehnsucht und Erwartung sind<br />
<strong>di</strong>e Chiffren, <strong>di</strong>e auf den Begriff Zukunft hin gebündelt sind. Die wie<br />
Überschriften über den Leben lasten und erst in den Grabinschriften erfüllt<br />
werden können.« (S. 15-16)<br />
»Lisas Brief.<br />
Sehr geehrter Herr Dr. Adrian,<br />
Ich heiße Lisa Liebich. Ich bin 39 Jahre alt und unterrichte an der<br />
hiesigen Volksschule.<br />
Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich in Sie verliebt habe. [...] Ich<br />
kann verstehen, daß Sie <strong>di</strong>esen Antrag seltsam finden müssen. Ich<br />
bitte Sie aber, mir zumindest zu schreiben, ob Sie sich vorstellen<br />
können, mit mir darüber zu reden.« (L. L., 1. Folge, S. 3)<br />
Mit <strong>di</strong>esem Brief fängt <strong>di</strong>e Strategie der erzählerischen Instanz an, <strong>di</strong>e<br />
einen Antiroman inszeniert, indem sie auf eine Entlarvung sozialer und in<strong>di</strong>vidueller<br />
Mechanismen abzielt und auf <strong>di</strong>e üblichen Strategien der „typisch<br />
weiblichen“ Frau verweisen will, <strong>di</strong>e nach einem unerreichbaren<br />
Ideal schwärmt, da sie als Resultat der patriarchalischen Erziehung, der