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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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224 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Sie akzeptiert das Alleinsein und <strong>di</strong>e Unwiderruflichkeit ihres Unglücks:<br />

durch das Schreiben hat sie begonnen, über ihr sinnentleertes Dasein zu<br />

reflektieren, über <strong>di</strong>e eigene Würde unabhängig von den anderen, von der<br />

Liebe, von der verlorenen Familie, vom falschen Beruf, für den sie sich so<br />

leichtsinnig entschieden hatte.<br />

»Lisa hatte begonnen, sich ein Gefühl für sich zu wünschen. Ein Gefühl<br />

nur für sich selbst.<br />

Dieses Gefühl sollte mit niemandem anderen zu tun haben.« (L. L.,<br />

2. Folge, S. 82)<br />

Als sie sich zum ersten Mal verliebt hatte, mit vierzehn, hatte sie eine<br />

solche Ausfüllung gefühlt, eine Art Besessenheit, indem sie auch den eigenen<br />

Körper, <strong>di</strong>e eigene Haut als etwas Leben<strong>di</strong>ges empfunden hatte:<br />

»Ihre Haut hatte sich über <strong>di</strong>eses Gefühl gespannt, und manchmal<br />

war es gewesen, als müßte sie platzen darüber.« (L. L., 2. Folge, 82)<br />

Lernen, wie das Leben zu meistern ist, bedeutet erstens, Distanz zu schaffen,<br />

und zweitens, <strong>di</strong>e eigene Kreativität zu fördern, <strong>di</strong>e das kleine ich revitalisieren<br />

und <strong>di</strong>e eigene Leere mit Sinn erfüllen kann.<br />

Die Bilder des dritten Bandes sind nicht auf <strong>di</strong>e Landschaft der Alm<br />

beschränkt: sie stellen <strong>di</strong>e verschiedenen Strassen der Metropole als Metapher<br />

der zahlreichen Wege dar, <strong>di</strong>e es gibt, um Verantwortung für das eigene<br />

Leben zu übernehmen.<br />

In New York, als Fremde unter Fremden, lernt Lisa endlich Distanz<br />

schaffen, um <strong>di</strong>e anderen zu beobachten, anstatt Objekt der fremdbestimmten<br />

Beobachtung zu sein.<br />

Distanz zu schaffen erlaubt uns – so Luce Irigaray – Energie zu finden:<br />

»Energie, <strong>di</strong>e sich erhalten und dazu verwenden ließe, sich einen Horizont<br />

zu erzeugen, zu schaffen – einen Horizont in seinen imaginären, ästhetischen,<br />

kulturellen und auch in seinen göttlichen Dimensionen.« 69<br />

Ein wichtiges, oder sogar entscheidendes Element in der Ökonomie<br />

des Romans stellt das Erlernen der Schreibkunst dar: durch einen Kurs angeregt<br />

hat Lisa gewagt, eigene Texte zu schreiben, und beim letzten Text<br />

findet sie endlich den Mut, <strong>di</strong>e verfassten Schriften mit dem ganzen Vornamen<br />

zu unterschreiben. Es gibt keine Lisa mehr, <strong>di</strong>e anonym leidet, sondern<br />

eine Elisabeth Liebich, <strong>di</strong>e stolz Anspruch auf eine sich entwickelnde Identität<br />

erhebt. Ob sie zu den Niagara-Fällen fährt oder nicht, ob das Selbst-<br />

69 Luce Irigaray, Ethik der sexuellen Differenz (1991), S. 127.

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