Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 99<br />
Das erlaubt dem Subjekt-Autor endlich das Trauma der Trennung zu<br />
akzeptieren: als ein Erwachsener geht <strong>di</strong>e Geschichte einfach weg (»Die Geschichte<br />
läuft <strong>di</strong>e Treppe hinunter, und in deinem Zimmer bleibt ein<br />
Schreibtisch voll Papier zurück, das du in Mappen verfrachtest.«), aber<br />
dann kann ein Echo widerhallen, wenn jemand <strong>di</strong>e Geschichte liest/hört/<br />
trifft:<br />
»Du hörst dann zwar immer wieder einmal von jemandem, der deine<br />
weggegangene Geschichte getroffen hat, wie sie auf ihn gewirkt hat .<br />
Du sagst <strong>di</strong>r, das hat sie von mir, <strong>di</strong>e Geschichte, aber du begegnest<br />
ihr selber nicht mehr.« (Die Kr., S. 197)<br />
Beim Schreiben, so erfahren wir, wird vom Subjekt endlich auf jeden<br />
Anspruch auf Beharren, auf Endgültigkeit und Vollkommenheit verzichtet:<br />
»Du machst <strong>di</strong>r vor, etwas festzuhalten, während du deine Geschichte<br />
schreibst. In Wahrheit knüpfst du lauter Bänder auf.« (Die<br />
Kr., S. 197)<br />
Das Ende der Erzählung, <strong>di</strong>e poetologische Reflexion thematisiert das<br />
Problem der Darstellung als Technik, und das paradoxe Verhältnis der<br />
Darstellung zum Leben: um sich das Leben<strong>di</strong>ge darzustellen, muss man/<br />
frau empfindlich dafür sein; um das Leben<strong>di</strong>ge darzustellen, muss er/sie<br />
sich gegen <strong>di</strong>ese Empfindsamkeit schützen. 84<br />
Aber es ist gerade <strong>di</strong>eses Wechselspiel zwischen der Leben<strong>di</strong>gkeit der<br />
Gefühle und Empfindungen und der unvermeidlichen Erstarrung der<br />
Schreibstrategien, das den Anreiz der Literatur bestimmt.<br />
Letztendlich sollen wir uns in Bezug auf <strong>di</strong>ese Erzählung daran erinnern,<br />
dass Krisen eine Herausforderung für besonders kreative Persönlichkeiten<br />
darstellen können, <strong>di</strong>e dann ihre Kräfte mobilisieren, um der<br />
Depression oder der physischen Krankheit ungeheuren Widerstand zu leisten.<br />
So gelingt es ihnen, an <strong>di</strong>e eigenen Gefühle heranzukommen, Potentiale<br />
zu heben. So wird auch von Fachleuten bemerkt, dass Symptome<br />
gar nicht zu unterschätzen oder einfach zu verdrängen seien, denn in<strong>di</strong>viduelle<br />
Lösungen sind oft kreativer als Therapie. 85<br />
84 Über <strong>di</strong>eses Paradoxon reflektiert der Ich-Erzähler in der Erzählung Anti Amor von<br />
Christoph Wilhelm Aigner, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1994. Vgl. auch <strong>di</strong>e<br />
italienische Ausgabe, Anti Amor. Aus dem Deutschen übertragen und herausgegeben von<br />
Riccarda Novello, Faenza: Moby<strong>di</strong>ck, 2002.<br />
85 Vgl. den Beitrag von Christina Damkowski „Ich schaffe es allein“. Aus eigener Kraft