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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 107<br />

»Und wenn du einen Tag länger bleibst, und wir fahren ins Elsaß?<br />

fragte sie stumm. Könnten ihre Wünsche seinen Wünschen Zeichen<br />

geben!« (U.F., S. 12)<br />

Die Protagonistin Gudrun ist sich der Kreativität und der „magischen“,<br />

also potentiell realitätsverändernden Kraft der Sprache bewusst, deswegen<br />

wünscht und versucht sie stän<strong>di</strong>g, den Mann dank eines Privatcodes zu<br />

beeinflussen und ihn in <strong>di</strong>e Spiralen einer Geheimsprache hinein zu verwickeln:<br />

»In irgendeiner Schattensprache oder in einer Luftzugsprache oder in<br />

einer Amselsprache miteinander verhandeln. Ihre gemeinsame Zukunft<br />

um einen Tag verlängern.« (U.F., S. 12)<br />

Dann fällt ihr Marina Zwetajewas Briefliebe zu Rilke ein, insbesondere<br />

ein bekanntes Zitat: der Satz vom „ewigen Paar der Sich-nie-Begegnenden“.<br />

Dieser einzige Satz beschreibt präzis ihre gemeinsame Situation: <strong>di</strong>e<br />

österreichische Anglistin hat einen älteren deutschen Professor bei einem<br />

Kongress in Wien kennen gelernt:<br />

»Sie kamen aus getrennten Leben, zwei von weit her heranschwingende<br />

Eiskunstläufer.« (U.F., S. 9)<br />

Liebe lebt von Worten, versicherte Marina Zwetajewa Rainer Maria Rilke<br />

in einem Brief am 22. August 1926. Die Begegnung im Wort bedeutete für<br />

<strong>di</strong>e beiden Autoren <strong>di</strong>e Begegnung im Geist, ein körperloser, veredelter<br />

Eros:<br />

»[...] <strong>di</strong>e Welt der wahren Liebe ist daher für Zwetajewa jene, in der<br />

es zu einer Verschmelzung der Seelen kommt, jedoch nicht der Körper.«<br />

103<br />

Das will aber <strong>di</strong>e moderne Gudrun vermeiden: durch Worte möchte sie<br />

ihren Geliebten verzaubern und ihn zu einer Harmonisierung zwischen<br />

der körperlichen Sinnlichkeit und den Gefühlen erziehen.<br />

Sie möchte ihn überzeugen können, wie sinnlos es für ihn sei, sich für<br />

das falsche Leben zu opfern:<br />

auf den so genannten Kinsey Report bemerkt: »Ein geschriebener Text wirkte also auf das<br />

außersprachliche Leben. Aber noch sicherer [...] wissen wir, daß <strong>di</strong>eser Text seinerseits<br />

nichts anderes war als eine (mehr oder weniger) getreue Darstellung bereits bestehender<br />

Verhaltensweisen im außersprachlichen Leben.« S. 78.<br />

103 Vgl. dazu den Band Rainer Maria Rilke und Marina Zwetajewa. Ein Gespräch in Briefen.<br />

Hrsg. von Konstantin M. Asadowski, Frankfurt/M.: Insel Verlag, 1992, S. 24-26.

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