Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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192 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
In <strong>di</strong>esem Abschnitt möchte ich also auf <strong>di</strong>e Möglichkeit einer anderen<br />
Interpretation hinweisen, <strong>di</strong>e auf einen alle Punkte erschöpfenden Ansatz<br />
eher verzichten will; meine Interpretation versteht sich eher als eine Annäherung<br />
an <strong>di</strong>e Texte, <strong>di</strong>e keine Aneignung beabsichtigt, und zwar im Hinblick<br />
auf eine von der Autorin realisierte Strategie des Weiblichen als<br />
Verweigerung, <strong>di</strong>e mir besonders innovativ vorkommt und nicht zuletzt<br />
den besonderen Reiz <strong>di</strong>eser Texte darstellt, <strong>di</strong>e sich nicht als definitiv präsentieren.<br />
Auch <strong>di</strong>e Interpretationsverfahren sollten durch das Bewusstsein<br />
des Prozesshaften, des Fließenden auf <strong>di</strong>e Vergänglichkeit und das<br />
Prozesshafte des Lebens hinweisen.<br />
Für eine konstruktive Auseinandersetzung sollte man/frau ganz textbezogen<br />
bleiben, so behauptet zumindest Marlene Streeruwitz was ihre Schule<br />
der Dichtung im Internet betrifft: d.h. keine Theorie anwenden, um durch<br />
Vor-Urteile, Vor-Wertungen den Wert eines Werkes endgültig zu bestimmen.<br />
2 Kann eine Lektüre eher dekonstruktiv vorgehen, indem sie eine konstruktive<br />
Auseinandersetzung mit dem Text und mit sich selbst aktiviert?<br />
Wahrscheinlich ja, wenn man/frau in der vorgeschriebenen Perspektive<br />
auf endgültige Überzeugungen verzichtet und sich inzwischen über sich<br />
selbst Fragen stellt und nach partiellen Antworten zwischen den Zeilen<br />
sucht.<br />
Die Bedeutung eines Werkes konstituiert sich wie schon betont im<br />
Wechselwirken zwischen latentem und manifestem Text, dank der Leerstellen, <strong>di</strong>e<br />
der Autor/<strong>di</strong>e Autorin uns bietet, damit wir weiterreflektieren und auch<br />
weiterlesen können.<br />
Zu <strong>di</strong>eser innovativen Optik, zu <strong>di</strong>eser Literatur, <strong>di</strong>e es anstrebt, grundsätzliche<br />
Strukturen des Denkens und des Sprechens zu erforschen, würden<br />
wir einen „wissenschaftlichen“ Weg brauchen, der keine fertigen Produkte<br />
anliefert, sondern zum Zweifeln und zum Suchen einlädt.<br />
An <strong>di</strong>e tra<strong>di</strong>tionelle Wissenschaft glaubt <strong>di</strong>e Autorin Marlene Streeruwitz<br />
nicht und an der akademischen Art und Weise, sich mit der Welt zu<br />
beschäftigen, übt sie kohärent Kritik:<br />
»Die mitteleuropäische Wissenschaft, auch <strong>di</strong>e Germanistik, ist eine<br />
Ergebniswissenschaft, sie läßt kaum Raum für Prozesshaftes. Es muß<br />
immer gleich ein Welterklärungsmodell geliefert werden. Ein domi-<br />
2 So Marlene Streeruwitz in dem Interview mit Wolfgang Huber-Lang, „Die Zeit der<br />
Girlies ist vorbei“. In: Format, Wien 13. 9. 1999, Nr. 37, S. 143: »Ich rufe Texte ab, kritisiere<br />
sie und stelle sie danach wieder zurück ins Netz. [...] Es bleibt ganz textbezogen. Für<br />
eine konstruktive Auseinandersetzung ist das das Beste.«