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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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138 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

beurteilen, zu klassifizieren, zu definieren innerhalb einer Ordnung, eines<br />

Systems – eben aus Sprache konstituiert –, ist nicht imstande, und will es<br />

vielleicht auch nicht, dem wirklichen Leben gerecht zu werden:<br />

»[...] Erlebnisse? Schicksale? Leiden? Qualen? Pein, Irrtümer, <strong>di</strong>e<br />

BEZAHLT werden, erlitten werden; wahrscheinlich, denkbar ist es<br />

gewiß, ›mache‹ ich gewisse ›Lebensläufe‹ wieder zum Erlebnis? [...]« 12<br />

Was und wie viel weiß <strong>di</strong>e Autorin von den erlittenen und bezahlten Erlebnissen,<br />

Schicksalen, Leiden, <strong>di</strong>e in ihrem Werk reproduziert werden? Wie geht<br />

sie vor beim Schreiben? Sicher ist sie nicht nur durch eine poetische Einbildungskraft<br />

beeinflusst, sicher hört sie zu, sieht zu, was sich hinter den<br />

Worten versteckt, was das Soziale betrifft, das sich in der Sprache manifestiert,<br />

und im Text wiederhergestellt wird, in den verschiedenen Diskursen<br />

der verschiedenen Figuren.<br />

In <strong>di</strong>esem Sinne – wie Konstanze Fliedl betont – hat Marie-Thérèse<br />

Kerschbaumer „Frauenliteratur“ realistisch, ganz pragmatisch definiert:<br />

»[...] als Fähigkeit weiblicher Schriftsteller, gerade wegen der miserablen<br />

Voraussetzungen ihrer Arbeit eine spezifische sprachliche Sensibilität<br />

zu entwickeln.« 13<br />

Das gilt in umgekehrter Richtung auch für <strong>di</strong>ejenigen LeserInnen, <strong>di</strong>e<br />

unter Umständen das kongenialere Publikum seien. Diese Autorinnen<br />

wollen nicht so sehr Mitleid erregen, fertige Identifikationen anbieten,<br />

sondern vielmehr <strong>di</strong>e Gefahren einer fixen Subjekt-Objekt-Machtsprache<br />

zeigen und an der Möglichkeit einer anderen Sprache arbeiten:<br />

»[...] <strong>di</strong>e noch nicht regiert hat, <strong>di</strong>e aber unsere Ahnung regiert und<br />

<strong>di</strong>e wir nachahmen.« 14<br />

12 Marianne Fritz, ebenda.<br />

13 Marie-Thérèse Kerschbaumer, Realismus oder Realismus? [1981]. In: M.T.K., Für mich<br />

hat Lesen etwas mit Fließen zu tun ... Gedanken zum Lesen und Schreiben von Literatur, Wien:<br />

Wiener Frauenverlag, 1989, S. 137 ff. Die Aussage der Autorin wird im Nachwort zum<br />

Band Österreichische Erzählerinnen von Konstanze Fliedl zitiert, <strong>di</strong>e dazu bemerkt: »Damit<br />

ist über eine besondere „Schreibweise“ nichts gesagt; nur <strong>di</strong>e ungleichen Be<strong>di</strong>ngungen des<br />

Schreibens und Lesens sind ungerührt benannt.« Konstanze Fliedl (1995), S. 238.<br />

14 Dieser Satz von Ingeborg Bachmann (in: Ingeborg Bachmann, Werke. Hrsg. von<br />

Christine Koschel, Inge von Weidenbaum u. Clemens Münster, 4 Bde, München: Piper,<br />

1978, Bd. IV, S. 270) ist im Nachwort von Konstanze Fliedl zitiert. – Vgl. dazu <strong>di</strong>e Formulierung<br />

von Konstanze Fliedl, <strong>di</strong>e auf <strong>di</strong>e Gefahr der Machtsprache hinweist: »Sprache<br />

ist ein Instrument, das seine eigenen Beschä<strong>di</strong>gungen vorzeigt; sie ist belangbar. Wenn sie

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