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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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154 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

<strong>di</strong>eses Mannes unterstrichen wird, immer zwischen Tragö<strong>di</strong>e und Groteske,<br />

zwischen Wunschträumen und Realität zu balancieren.<br />

Welche Identität können <strong>di</strong>e Lesenden <strong>di</strong>eser Figur zuschreiben? Ich<br />

beziehe mich wieder auf <strong>di</strong>e poststrukturalistische Idee, dass unsere Subjektivität<br />

konstruiert ist:<br />

»Subjektivität kann nicht als einheitliche Entität erfaßt werden, <strong>di</strong>e<br />

ein bewußtes, wissendes und rationales Subjekt voraussetzt.« 35<br />

Das kleine ich, das In<strong>di</strong>viduum entwickelt sich also nicht autonom,<br />

sondern es ist ein Produkt des großen ICHs, ein Ergebnis der Gesellschaft,<br />

der Rollenverteilung, der Erwartungen der anderen: <strong>di</strong>e Identität<br />

des Einzelnen ist durch <strong>di</strong>e soziale Wirklichkeit (und <strong>di</strong>e soziale Kontrolle)<br />

entscheidend beeinflusst, und natürlich durch <strong>di</strong>e Sprache. Denn<br />

»Widersprüchlich in sich, kann das Subjekt auch einander widersprechende<br />

Subjektpositionen einnehmen [...]. Unsere Identität ist somit<br />

nichts Festgefügtes und hängt von der Sprache ab, <strong>di</strong>e unsere soziale<br />

Wirklichkeit konstituiert.« 36<br />

So spielt Wilhelms Figur <strong>di</strong>e im patriarchalen System tra<strong>di</strong>tionelle Rolle,<br />

»wobei der Mann <strong>di</strong>e Norm, <strong>di</strong>e Frau deren Abweichung ist.« 37<br />

Er versteht sich selbst als „der Durchschnittsbürger“, der an (fast) allen<br />

Schwierigkeiten „vorbeilavieren“ kann, „der geborene Träumer“ (nicht<br />

unfähig also, zu träumen und zu lieben), »der nicht träumte«, und polemisch<br />

wird hinzugefügt:<br />

»Er glaubte alles und nichts, er bezweifelte alles und nichts, er war<br />

der geborene Träumer, der nicht träumte. Kurz und gut; er war ein<br />

wür<strong>di</strong>ger Repräsentant seiner Nation.« (S.V., S. 12)<br />

Was seine Vaterrolle betrifft, erscheint Wilhelm eher abwesend: er ist<br />

nicht imstande, <strong>di</strong>e Kinder zu betreuen, weil er oft fort ist, und im Text<br />

gibt es eigentlich kein Zeichen dafür, dass er sich wirklich um sie kümmert.<br />

Klein-Rudolf hat <strong>di</strong>ese Abwesenheit verinnerlicht, da er ihn als „den<br />

Chauffeur“ definiert: er hat <strong>di</strong>e Wahrheit über seine Geburt von Wilhelmine<br />

erfahren, er weiß also, dass Rudolf ihn gezeugt hat, aber sicher fühlt<br />

er auch, dass keine Emotionen ihn mit <strong>di</strong>esem Wilhelm verbinden, der als<br />

„Repräsentant der Außenwelt“ gilt.<br />

35 Rosemarie Lederer, Grenzgänger Ich (1998), S. 131.<br />

36 Ebenda.<br />

37 Rosemarie Lederer (1998), S. 132.

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