Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 175<br />
erklären soll: Wieder sucht Berta nicht allein <strong>di</strong>e Probleme zu bewältigen,<br />
wieder erhofft sie sich nicht so sehr eine Lösung, <strong>di</strong>e sie vielleicht in jener<br />
Umwelt auch nicht finden könnte, als vielmehr eine Erklärung, eine Erläuterung,<br />
<strong>di</strong>e solche Verhältnisse in ihren Augen akzeptabel machen<br />
würde.<br />
»So legte sie den Telefonhörer zurück und hoffte still für sich weiter,<br />
Wilhelm möge doch bald wieder zurückkehren, um ihr zu erläutern,<br />
wie sie am besten Klein-Berta <strong>di</strong>e Überstellung in <strong>di</strong>e Sonderschule<br />
als Angelegenheit erklärte, <strong>di</strong>e für ihr weiteres Leben kaum von Bedeutung<br />
sei [...].« (S.V., S. 77)<br />
So könnte sie wahrscheinlich den Kindern dabei helfen, »ihr Schattendasein<br />
zu fristen« und »sich selbst an der blattlosen Zeit vorbeilavieren«.<br />
Die Wahl <strong>di</strong>eser Worte offenbart aber, dass ihr keine Illusionen mehr<br />
bleiben, denn „das Leben an sich“ erlaubt nicht mehr, „verleugnet“ zu<br />
werden: <strong>di</strong>e hoffnungslose Realität will nicht mehr durch Sprache verkleidet<br />
werden.<br />
Drei Tage lang spielt sich ein neues Leben für Berta und ihre Kinder<br />
ab: sie schickt sie nicht mehr zur Schule, erteilt keine Lehre mehr, tadelt<br />
sie nicht und verzichtet auch auf <strong>di</strong>e „Sisyphosarbeit des Ordnungmachens“<br />
(S.V., S. 79). Die Kollokation „Ordnung machen“, <strong>di</strong>e schon früher nur<br />
„eine Art Höflichkeitsfloskel“ der Realität gegenüber bedeutete, ist jetzt<br />
eine „sinnentleerte Redewendung“ geworden, <strong>di</strong>e Berta und ihre Schöpfung<br />
nichts mehr angeht. Dank des Verzichts auf jede Strenge und jedes<br />
Zurecht-Machen findet sie <strong>di</strong>e Zärtlichkeit der Kleinen wieder.<br />
Es taucht <strong>di</strong>e Erinnerung an <strong>di</strong>e Worte der eigenen Mutter wieder auf,<br />
<strong>di</strong>e ihre Erziehung und ihren Fatalismus erklären: der onomatopoetische<br />
Ausruf „Papperlapapp! Krieg“ enthüllt vieles über <strong>di</strong>e Denk- und Verhaltensmuster,<br />
<strong>di</strong>e Bertas Mutter verkörpert, den Verzicht auf jede Handlung,<br />
<strong>di</strong>e Nachgiebigkeit, <strong>di</strong>e zum tragischen Epilog führt.<br />
So genügt es nicht, dass Wilhelm endlich Mut fasst und sogar wagt,<br />
seinen Brotgeber anzulügen, um drei Tage zu seinem „Weib“ zu fahren:<br />
seine arme „Dulcinea“ (wie sie Mueller-Rickenberg verspottend nennt)<br />
verliert den Verstand und identifiziert sich mit dem toten Vater, der Totengräber<br />
war.<br />
Vor der irreparablen Tat schreibt sie aber einen Brief an Wilhelm, eine<br />
letzte Botschaft: <strong>di</strong>e Schrift widerspricht ihrem Wahnsinn, denn <strong>di</strong>e Buchstaben<br />
werden schön hingemalt, und scheint <strong>di</strong>e „unlogische Logik“ des<br />
Wahnsinns zu bestätigen: als Mädchen war sie immerhin mit der Note eins