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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 239<br />

Das können wir leicht im Alltagsleben feststellen: Wenn wir wagen, der<br />

herrschenden Meinung zu widersprechen, wenn der/<strong>di</strong>e Einzelne den Mut<br />

findet, mit Hilfe der Phantasie <strong>di</strong>e bedrückende Ordnung des Logos in<br />

Frage zu stellen, muss er/sie auch büßen, und manchmal <strong>di</strong>e Verlegenheit,<br />

wenn nicht das Unverständnis der anderen erleben, weil <strong>di</strong>e meisten es<br />

vorziehen, „auf der Seite von“ zu stehen, weil es einfacher ist, bequemer,<br />

vernünftiger und letztendlich auch vorteilhafter.<br />

Wieder zum Jahr 1957 und zu den Erinnerungen der Schriftstellerin<br />

zurück:<br />

»Und wenn nur Einzelne <strong>di</strong>esen Luxus kennen und so teuer bezahlen.<br />

Und wenn <strong>di</strong>e Vermutung, daß <strong>di</strong>e meisten ohnehin alles richtig<br />

fanden. Nicht nur hinsahen, sondern es durchaus richtig fanden, daß<br />

<strong>di</strong>e einen abgeholt wurden. Wenn nun auch eine Religion <strong>di</strong>ese einen<br />

nicht richtig findet. Und deren Abholung richtig. Eigentlich.«<br />

Mit dem Hinweis auf eine epochale Tragö<strong>di</strong>e (»Und wenn angeblich<br />

„Lebensraum“ hergestellt wurde«) betont <strong>di</strong>e Autorin <strong>di</strong>e schreckliche<br />

Anpassungsfähigkeit der Masse, <strong>di</strong>e den Einzelnen bei ihrem kühnen In-<br />

Frage-Stellen meistens nicht hilft und es auch nicht will:<br />

»Und wenn der Luxus der Empörung dann insgesamt einer Kultur<br />

gar nicht bekannt ist, dann findet er sich auch für ein kleines Mädchen<br />

im Jahr 1957 nicht.«<br />

Diese Schulerfahrungen haben sicher das kleine Mädchen im Jahre<br />

1957 geprägt: <strong>di</strong>e Tendenz der Schule, <strong>di</strong>e Ausnahmen sofort beurteilen<br />

und „therapieren“ zu lassen, taucht im Roman Verführungen. auf, in der Figur<br />

der „kleinen und zarten“ Frau Lehrerin Zöchling, <strong>di</strong>e Helene zum Gespräch<br />

eingeladen hat.<br />

»Und da gäbe es auch das Problem. Warum der Vater nicht da wäre.<br />

Sie fände es wichtig. Es handle sich schließlich um eine tiefangelegte<br />

Störung. Ihrer Meinung nach. Jedenfalls. Die weit über normale<br />

Schulschwierigkeiten hinausginge. Helene erschrak. Sie fühlte sich<br />

sofort schul<strong>di</strong>g. [...] Sie fühlte ein Gefühl ewiger Verdammnis. Nie<br />

wieder eine gute Minute.« (Verf., S. 42)<br />

Die Ironie der erzählerischen Instanz unterstreicht <strong>di</strong>e Achtung der<br />

Lehrerin für männliches Urteil («Warum der Vater nicht da sei.»), ihre<br />

„triumphierende“ Sicherheit beim Diagnostizieren einer „tiefangelegten<br />

Störung“.

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