Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 135<br />
So fragt sich Christoph Wilhelm Aigner in seinem Text Engel der Dichtung:<br />
Was ist Interpretieren, und wie kann der Mensch überhaupt Interpretieren?<br />
Wenn wir akzeptieren, dass unsere Vorstellung der Welt nicht<br />
<strong>di</strong>e einzige mögliche ist, dann werden wir sicher andere, neue Bedeutungsperspektiven<br />
entdecken. So fährt der Dichter fort:<br />
»Aber indem wir den anderen zu begreifen suchten, was ja nur geschehen<br />
kann, wenn wir uns auch begreifbar machen, haben wir uns<br />
bereits ein wenig gewandelt oder verwandelt, eine sogenannte Entwicklung<br />
erlebt.« 5<br />
Wie bin ich auf Die Schwerkraft der Verhältnisse gekommen? Und warum<br />
habe ich genau <strong>di</strong>eses Buch <strong>di</strong>eser Autorin als Objekt meiner Untersuchung<br />
gewählt?<br />
Der Ausgangspunkt war eine Übersetzung, und zwar eines Auszuges<br />
des Werkes, der als selbststän<strong>di</strong>ger Text im Band Österreichische Erzählerinnen.<br />
Prosa seit 1945 erschienen war. 6 Der Titel lautet Dienst ist Dienst, Schnaps ist<br />
Schnaps. Von der Übersetzungsarbeit her hat mich schon der Titel beeindruckt.<br />
Das Sprichwort kommt aus der allgemeinen Volksweisheit, <strong>di</strong>e auf<br />
<strong>di</strong>e Notwen<strong>di</strong>gkeit anspielt, sich der Realität anzupassen und der in<strong>di</strong>viduellen<br />
Sphäre nur einen begrenzten Raum zu gönnen, wobei <strong>di</strong>ese durch<br />
das Wort „Schnaps“ eher negativ, abwertend gekennzeichnet ist: auf italienisch<br />
Prima il dovere, poi il piacere, wobei <strong>di</strong>e Konnotation durch des Lexems<br />
„Schnaps“ verloren geht.<br />
Der Band will zeigen, wie österreichische Erzählerinnen <strong>di</strong>e Spuren von<br />
vergangener und gegenwärtiger Macht in und an der Sprache verfolgt<br />
haben, wie Gewalt in der Sprache sitzt, wie sie (weibliche) Identität <strong>di</strong>ktiert<br />
und bestimmt. Im Nachwort erinnert <strong>di</strong>e Herausgeberin Konstanze Fliedl<br />
daran, dass <strong>di</strong>e Lesenden vieles finden können, was <strong>di</strong>ese Autorinnen<br />
gemeinsam haben:<br />
»Andererseits haben sich österreichische Schriftstellerinnen auf kein<br />
ästhetisches Programm eingelassen, auch nicht auf eine Definition<br />
„weiblicher Schreibweisen“. Das „ganz Andere“ des weiblichen<br />
Schreibens, das in der französischen feministischen Theorie auf-<br />
5 Ebenda.<br />
6 Vgl. Marianne Fritz, Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps. In: Konstanze Fliedl (Hrsg.),<br />
Österreichischische Erzählerinnen. Prosa seit 1945, München: Deutscher Taschenbuch Verlag,<br />
1995, S. 64-67. Und vgl. dazu meine Übersetzung Prima il dovere, poi il piacere. In: Linea<br />
d’ombra, <strong>Milano</strong> Sept./Okt. 1997, Nr. 128, S. 36 f.