Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 249<br />
wie jeder Mann“, hatte er gesagt, wenn sie Griechisch gelernt hatten.<br />
Miteinander. Ihr Kopf. Alles andere war falsch gewesen an ihr. Aber<br />
ihr Kopf.« (Nachwelt., S. 179)<br />
Das vom Vater ausgesprochene Lob über ihre intellektuellen Fähigkeiten<br />
erwies sich als eine Verurteilung, als Negation des anderen Teiles<br />
ihres Selbstbildes, einer Weiblichkeit, <strong>di</strong>e sie glaubt, nie besessen zu haben,<br />
weil so das Wort des Vaters sprach. Das Wort des Vaters wurde dann von<br />
den anderen wiederholt, wie Wagenberger „ironisch abschätzig“:<br />
»Höchstens wie Wagenberger. Ironisch abschätzig. Warum sie ihre<br />
Figur so verstecken müsse. Sie hätte das doch nicht nötig. Oder ob<br />
sie <strong>di</strong>e Welt nun hasse. Und ihre Weiblichkeit verbergen müsse.«<br />
(Nachwelt., S. 59)<br />
Wie Margarethe sich selbst gestehen muss, hat sie sich nie sicher gefühlt,<br />
und <strong>di</strong>eses Gefühl der Unsicherheit hängt von den ersten Worten,<br />
von den Worten der Eltern ab:<br />
»Und vielleicht hatte er ja recht. Sie hatte sich noch nie sicher gefühlt.<br />
Sie war nie sicher gewesen, das Richtige anzuhaben. Das Beste aus<br />
sich gemacht zu haben. [...] Sie hatte das nicht gelernt. Von ihrer<br />
Mutter nicht.« (Nachwelt., S. 59)<br />
Zwischen Mutter und Tochter fehlte der existenziell so wichtige Informationsaustausch<br />
zum gegenseitigen Erkennen, zur Selbstfindung und<br />
Selbstaffirmation:<br />
»Sie hatten nie darüber gesprochen. Die Mutter hatte ihr nur einmal<br />
gesagt, es sähe krank aus, wie sie sich <strong>di</strong>e Wimpern unter den Augen<br />
schwärze.« (Nachwelt., S. 59)<br />
Und das wirkte auf ihre Beziehungen zu den Männern, indem es ihre<br />
Selbstsicherheit beeinträchtigte:<br />
»War er nun schuld. An all <strong>di</strong>esen Beziehungsproblemen. Hatte<br />
Dieffenbacher ihrem Vater zugehört, wenn er ihr gesagt hatte, ihr<br />
fehle das Weibliche. In einem gewissen Sinn, hatte er immer gesagt,<br />
fehle ihr das Weibliche. Und er müsse sich erholen davon. Von ihrem<br />
fordernden Wesen.« (Nachwelt., S. 179-180)<br />
Das Grundmuster ihrer Existenz hat der Vater als erster geprägt, indem<br />
er sie schlug und <strong>di</strong>e Mutter durch seine Abwesenheit verletzte, warten<br />
ließ, mit seinem Un-Verständnis, mit dem Verbot das Wort zu ergreifen,