Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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60 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
»Von der Gesellschaft war <strong>di</strong>e Rede, von autoritären Familienstrukturen.<br />
Marianne und <strong>di</strong>e Gesellschaft. Die Gesellschaft: das waren irgendwelche<br />
anderen, zu denen man selbst nicht gehörte.« (Nachhilfe, S. 8)<br />
Während der Ehemann <strong>di</strong>e führende Rolle spielt und beim Diskutieren<br />
mit Freunden und Gästen <strong>di</strong>e eigenen Einsichten überzeugend ausdrückt,<br />
wirkt Marianne als passive, „untüchtige“, „weibliche“ Dekoration, <strong>di</strong>e zum<br />
Ganzen passt, ohne irgendwelchen Eindruck zu erwecken:<br />
»Sie galt als schweigsam und hatte sich mit <strong>di</strong>eser Rolle abgefunden,<br />
weil es so bequemer war, als sich etwas einfallen zu lassen, das man<br />
dann vor <strong>di</strong>esen Menschen, Geschäftspartnern und deren Gattinnen,<br />
sagen mußte und laut sagen mußte, um verstanden zu werden mit<br />
einer so leisen Stimme wie der ihren. Kernenergie.« (Ebd.)<br />
Was sie selbst als „leise Stimme“ rechtfertigen will, ist im Grunde <strong>di</strong>e<br />
Unfähigkeit oder <strong>di</strong>e Unmöglichkeit, sich aktiv zu behaupten, das Wort zu<br />
ergreifen, weil ihre Kernenergie wahrscheinlich durch eine autoritäre Erziehung<br />
und einen autoritären Ehemann ausgeblendet worden ist. Aber in<br />
ihrem Inneren bleibt noch eine Spur Hoffnung, ein einziger Wunsch:<br />
»[...] nur so lange leben, solange man noch den Wunsch, also <strong>di</strong>e Bereitschaft<br />
hat, einen neuen Menschen kennenzulernen.«<br />
(Nachhilfe, S. 11)<br />
Was der Text enträtseln will, ist sicher keine „banale“ Liebesaffäre zwischen<br />
der ungebildeten Marianne und dem intellektuellen Stefan auf Kosten<br />
des Ehemannes, keine triviale Dreiecksgeschichte, sondern vielmehr <strong>di</strong>e<br />
sprachliche Struktur der gegenseitigen Beziehungen, <strong>di</strong>e Diskursfetzen, welche<br />
Gefühle, Bewusstseinsveränderungen und Gesten signalisieren und sie<br />
zustande bringen können.<br />
»Die Literaturwissenschaft hat den Erzähler mit Etiketten wie „auktorial“,<br />
„personal“, „allwissend“ etc. behängt und es dabei belassen.« (Nachhilfe, S. 13)<br />
So bemerkt <strong>di</strong>e Stimme des schreibenden Subjektes und fügt hinzu:<br />
»Was noch nicht untersucht worden ist, das sind ja jene vielfältigen<br />
Phänomene, <strong>di</strong>e <strong>di</strong>e Beziehung einer weiblichen oder männlichen<br />
Erzählerfigur zu ihren Personen ausmachen.« (Nachhilfe, S. 13-14)<br />
Und <strong>di</strong>e Beziehungen sind sprachlich konstituiert und dargestellt:<br />
»Welche Gespräche es gegeben hat, wenn ein Erzähler seiner Person<br />
einmal auf der Straße begegnet ist, wenn sie sich in einem Zugsabteil