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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 119<br />

letzten ungelösten Rätsel in der HR-Literatur. Nicht biographisch,<br />

liebe Linda Götz.« (U.F., S. 79)<br />

Der etwas ironische Blick der Autorin streichelt <strong>di</strong>e Versuche der Wissenschaft,<br />

<strong>di</strong>e nach den üblichen Methoden <strong>di</strong>e Einzigartigkeit des Elchsge<strong>di</strong>chtes<br />

des (frei erfundenen) Schriftstellers Hermann Richter erklären<br />

will. Aber <strong>di</strong>e linguistische Textanalyse weist in Bezug auf <strong>di</strong>ese Lyrik eine<br />

unerwartete Unzulänglichkeit auf. Die Erkenntnis, <strong>di</strong>e bekannten epistemologischen<br />

Wege, wodurch gewöhnlich versucht wird, <strong>di</strong>e Aura der<br />

Verse zu enträtseln, können in <strong>di</strong>esem spezifischen Fall den Wahrheitskern<br />

des Textes nicht völlig erfassen und deuten. Oder besser: der Kontext<br />

verlangt <strong>di</strong>e Aufmerksamkeit des Rezipienten, <strong>di</strong>e extratextuelle Realität<br />

erfordert Interesse und aktive Beteiligung. Wer <strong>di</strong>e schriftliche Textur<br />

wirklich verstehen will, der muss bereit sein, sich mit der Welt zu konfrontieren,<br />

überraschende Welt-Dinge zu erblicken, <strong>di</strong>e eigene Perspektive<br />

neu zu orientieren.<br />

Der Wissenschaftler Widmer hat eine ausführliche Biographie beendet,<br />

aber jetzt ist etwas passiert, das <strong>di</strong>e Literatenwelt erschüttert und alle Ergebnisse<br />

zu verderben droht. Eine unbekannte Frau behauptet nämlich, sie<br />

habe eine große Rolle im Leben des Schriftstellers gespielt, sie sei sogar<br />

seine Muse gewesen, und das Elchsge<strong>di</strong>cht enthalte Hinweise auf <strong>di</strong>ese<br />

heimliche Beziehung.<br />

Die Grazerin Linda erhält den Brief von Hermann Widmer, der seine<br />

Ankunft in Graz ankün<strong>di</strong>gt. Darin drückt er seine prinzipielle Skepsis dem<br />

Unternehmen gegenüber aus: es gebe ja keinen Anhaltspunkt dafür, dass<br />

<strong>di</strong>e Behauptungen <strong>di</strong>eser Frau auf Tatsachen beruhen. Worum handelt es<br />

sich bei ihren Fragen? Die Intellektuellen bestehen darauf, dass es sich um<br />

eine textuelle Unklarheit handelt: sie sind nämlich überzeugt, dass <strong>di</strong>e Lebensumstände<br />

des Dichters keine Rolle bei der Rezeption seines Werkes<br />

spielen können, dabei, wie es zu lesen ist.<br />

Der Grund für <strong>di</strong>e Bemühungen Widmers ist leicht zu erläutern: Er hat<br />

eine ganz konkrete Angst, was den Erfolg und <strong>di</strong>e Wirkung seiner Arbeit<br />

betrifft. Er fürchtet, dass <strong>di</strong>ese Unbekannte – sie behauptet, ein Geheimnis<br />

zu wissen in Bezug auf das besprochene Ge<strong>di</strong>cht –, <strong>di</strong>ese Else Bartsch,<br />

ihm ein paar Monate vor Fertigstellung seiner Standardbiographie Hermann<br />

Richters noch alles durcheinanderbringen könnte.<br />

»Ich muß wohl nicht eigens hervorheben, wie sehr es gerade mir am<br />

Herzen liegt, <strong>di</strong>eses Rätsel zu lösen – jetzt, wo das Zentenarium mit<br />

solcher Macht herandrängt.« (U.F., S. 79)

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