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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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248 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

»Wenn Frauen keinen Blick haben, dann können sie nichts sehen.<br />

Dann gibt es nichts zu beschreiben. Wenn also das Gesehene über<br />

den Männerblick wahrgenommen wird, dann kann <strong>di</strong>eses Gesehene<br />

auch nur mit der Männersprache beschrieben werden. Alles geborgt.<br />

Alles geliehen. Aus zweiter Hand.« 108<br />

Im Roman findet stän<strong>di</strong>g <strong>di</strong>e Verwandlung der Körpersprache in <strong>di</strong>e<br />

schriftliche Sprache statt: <strong>di</strong>e „weibliche“ Perspektive der Hauptfigur<br />

Margarethe ermöglicht Einsicht in <strong>di</strong>e physische Dimension, indem sie<br />

Vorgänge besagt, menschliche Körperteile benennt, den Badezimmeraufwand<br />

beschreibt, mit all dem Einseifen, Waschen, Eincremen, Fußcremen,<br />

Deodorieren, Wimperntuschen, Make-up-Auflegen, Pudern und Diefrische-Unterwäsche-Anziehen.<br />

Das weibliche Wort hat den Mut aufgebracht,<br />

der notwen<strong>di</strong>g ist, um <strong>di</strong>e Sphäre der Sexualität, <strong>di</strong>e Zerbrechlichkeit<br />

des Körpers, <strong>di</strong>e Tränen, den Durst, all <strong>di</strong>e physischen Bedürfnisse<br />

in <strong>di</strong>e Textstruktur zu semiotisieren, so gelangen <strong>di</strong>ese Elemente der<br />

Materie, der „Matrix“ zu derselben literarischen Qualität, <strong>di</strong>e einmal nur<br />

den „hohen“ Werten, den „großen Gefühlen“ vorbehalten war.<br />

Von ihrer weiblichen Perspektive aus wird auch ihr Warten beschrieben.<br />

Erst beim Bewusstwerden der unwiderruflichen Abwesenheit zu dem<br />

geliebten Mann kann Margarethe wieder zu einem eigenen Blick kommen,<br />

und folglich ist sie auch imstande, <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>gen Worte zu finden, wenn<br />

auch schmerzlich, wenn auch mühsam und stotternd, um <strong>di</strong>eses Leiden<br />

auszudrücken:<br />

»Wo sollte sie einen Sinn hernehmen. Bisher war sie ohne einen ausgekommen.<br />

Von einer großen Liebe zur nächsten. Das hatte gereicht.<br />

Aber neue Liebe war keine in Sicht, und <strong>di</strong>e Geschichte mit Helmut<br />

war längst nicht mehr groß. Wenn sie überhaupt noch.« (Nachwelt., S.<br />

42)<br />

Wie in den früheren Werken kommt <strong>di</strong>e Erinnerung an den Vater wieder,<br />

an eine streng herrschende Figur, an den ersten Mann, der <strong>di</strong>e Wahrheit<br />

„über <strong>di</strong>e Tochter“ besaß, der es besser wusste. Hier wird suggeriert,<br />

dass gerade der Vater <strong>di</strong>e Spaltung, <strong>di</strong>e Zerrissenheit der Kleinen verursachte,<br />

indem er nur ihren Geist lobte und ihre männliche Denkfähigkeit<br />

pries:<br />

»Und einen Mann auf sich verpflichten. So ganz. Das konnte sie<br />

eben nicht. Das hatte der Vater verhindert. „Das kannst du so gut<br />

108 Marlene Streeruwitz, Sein. Und Schein. Und Erscheinen., S. 22.

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