Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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50 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
wandelt wurden, aufzuheben. Die Männer und Frauen, mit denen von<br />
Braun im Laufe ihrer Untersuchung sprach, seien:<br />
»[...] keineswegs „krank“ – jedenfalls nicht kränker als jeder andere,<br />
der in der Kathedrale der abendlän<strong>di</strong>schen Logik lebt. Ich möchte<br />
sogar behaupten, sie sind etwas gesünder, weil sie [...] ihr Unbehagen<br />
verspüren und beschreiben können.« 16<br />
Durch das wiederholte Leiden geprägt, um das Leiden wissend, dem<br />
Leiden manchmal allein ausgesetzt, ist <strong>di</strong>e Schriftstellerin und Dichterin<br />
Evelyn Schlag sich dessen bewusst, dass eine schmerzhafte, aber vielleicht<br />
unentbehrliche Voraussetzung für ihr Schreiben sicher <strong>di</strong>e Einsamkeit ist,<br />
„<strong>di</strong>e unerläßliche Schule der Einsamkeit“, <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>g erscheint, um das<br />
eigene Potential, <strong>di</strong>e eigene Kraft entwickeln und realisieren zu können.<br />
„Verändert und unglaublich allein“: in dem Text ihrer dem Dichter<br />
Dannie Abse gewidmeten Vorlesung beschreibt Evelyn Schlag den besonderen<br />
Reiz einer Stimmung, <strong>di</strong>e uns verändern kann, einer Traurigkeit,<br />
<strong>di</strong>e uns heimsucht, aber nicht als etwas Bedrohendes erscheint, sondern<br />
vielmehr als etwas Wünschenswertes, »[...] auch wenn es dem Leben<br />
Schwere verleiht und eine merkwür<strong>di</strong>ge Einsamkeit hinterläßt.« 17<br />
Die Autorin weist <strong>di</strong>esbezüglich auf <strong>di</strong>e in den Jahren 1903 und 1904<br />
von Rilke an Franz Xaver Kappus, Schüler der Militärakademie in Wiener<br />
Neustadt, geschriebenen Briefe hin, in denen <strong>di</strong>e Motive der Einsamkeit<br />
und der Traurigkeit als entscheidende Erfahrungen, als Momente der<br />
Selbsterfahrung bewertet werden:<br />
»Was not tut, ist doch nur <strong>di</strong>eses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit.<br />
In-sich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, – das<br />
muß man erreichen können.« 18<br />
Wie Evelyn Schlag bemerkt, scheinen <strong>di</strong>ese sonderbaren Momente eine<br />
Vorstellung des Schicksals zu bestätigen, das über uns nicht von außen<br />
16 Christina von Braun (1994), S. 12. Ihre These schlägt provokativ vor, dass jeder für<br />
sich selbst zu entscheiden hat, ob »[...] <strong>di</strong>e Hysterie nun als „Krankheit“ oder [...] als<br />
„Symptom von Gesundheit“ zu betrachten ist [...]. Es ist letztlich eine Entscheidung für<br />
das ich oder das ICH.« S. 17.<br />
17 Evelyn Schlag, „Und seiner linken Hand gegeben: sie.“ Über den Tod, das Weiterleben, <strong>di</strong>e<br />
Hand. In: Keiner fragt mich je, wozu ich <strong>di</strong>ese Krankheit denn brauche, S. 109.<br />
18 So zitiert Evelyn Schlag auf Seite 109 ihrer Vorlesungen Rainer Maria Rilke, und<br />
zwar seine Briefe an einen jungen Dichter, Frankfurt: Insel Verlag, 1991, S. 29 ff.