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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 193<br />

nanter Felsbrocken, an dem viele zerschellen, weil sie erhoffen, eine<br />

Erklärung zu erhalten, <strong>di</strong>e sie heute nirgendwo mehr erhalten.« 3<br />

Selbst ihre Poetikvorlesungen hat sie eher als „fiktionale“ Texte, als ein<br />

Stück Literatur gefasst: es gehe ja nicht darum, <strong>di</strong>e Prozeduren der Wissenschaft<br />

nachzuahmen, sondern ihr etwas entgegenzuhalten.<br />

Wenn <strong>di</strong>e Wissenschaft uns nicht mehr täuschen kann, indem sie verlangt,<br />

uns Denk- und Verhaltensrezepte zu liefern, so darf und will <strong>di</strong>e<br />

Literatur auch keine Erlösungsfunktion erfüllen, wie <strong>di</strong>e Autorin streng<br />

bemerkt:<br />

»Die Kirchgänger werden bei mir immer bestraft.« 4<br />

Keinen Trost, keine Erlösung, sondern eine schlichte Beschreibung der<br />

kollektiven Lebenssituation strebt also ihre Literatur an, damit <strong>di</strong>e Lesenden<br />

nicht zu pessimistisch werden und sich resignativ einstellen, sowohl<br />

zum Leben als auch zur Möglichkeit, eine adäquate Sprache zu finden/erfinden<br />

zur Darstellung des Lebens selbst:<br />

»Wir dürfen nicht aufgeben, an einer Stelle, wo keine Aussicht ist, zu<br />

sagen: da ist auch keine. Es gibt eine Sprache, in der <strong>di</strong>ese Aussicht<br />

zu schildern ist und <strong>di</strong>e wir erobern müssen.« 5<br />

Der experimentelle Charakter ihrer Prosa, ihr inzwischen berühmt gewordenes<br />

Stakkato, <strong>di</strong>e Entscheidung für <strong>di</strong>e Parataxe, <strong>di</strong>e Ellipse, für <strong>di</strong>e<br />

Lakonie, entsprechen ihrer Poetik des Suchens, <strong>di</strong>e sich von der Reglementierung<br />

der Hypotaxe befreit hat: es gibt keine Ordnung mehr, es gibt kein<br />

Übereinander und Untereinander, nur das Nebeneinander wirkt noch<br />

sinnvoll, um den roten Faden wiederzufinden in weiblichen Geschichten,<br />

damit sich ein neues, anderes Bild am Horizont profiliert. Es geht nämlich<br />

darum, »[...] <strong>di</strong>e Sprache zu zersplittern und daraus einen neuen, einen anderen<br />

Glanz zu retten.« 6<br />

Diese Poetik wendet sich explizit an <strong>di</strong>e LeserInnen, <strong>di</strong>e keine sicheren<br />

Werte erhalten werden, aber durch ihre Reisen in der Dimension der<br />

Schrift etwas von den eigenen Erfahrungen wiederfinden und damit wo-<br />

3 Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Clau<strong>di</strong>a Kramatschek (1998), S. 17.<br />

4 So bemerkte Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Bettina Steiner. In: „Rot und<br />

Blau – statt immer Schwarz und Weiß“. In: Die Presse, Wien 1. 8. 1998, S. 23.<br />

5 Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Clau<strong>di</strong>a Kramatschek (1998), S. 17.<br />

6 Marlene Streeruwitz, Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen., S. 55.

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