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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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148 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

dann können wir leicht verstehen, dass <strong>di</strong>ese Identität sich auch als provisorisch<br />

und zerbrechlich erweist, im Wechselwirken des Selbstgefühles mit<br />

der Art und Weise, in der <strong>di</strong>eses Selbstgefühl von den anderen anerkannt<br />

bzw. nicht anerkannt wird.<br />

So darf zweifellos von Gewalt gesprochen werden, wenn »dem Objekt<br />

der Handlung ein Schaden entsteht«, gerade aufgrund der oben erwähnten<br />

Erklärung, denn es ist für alle Menschen existentiell wichtig, von anderen<br />

Menschen wahrgenommen, beachtet und in ihrer Identität bestätigt zu<br />

werden. 27<br />

In der Erzählung taucht <strong>di</strong>eser Mechanismus der Identifikation durch<br />

<strong>di</strong>e (sprachliche) Anerkennung der Anderen, der Mitmenschen besonders<br />

klar auf: eklatant wirkt er am Ende, als Berta, <strong>di</strong>e infolge ihrer Tat einige<br />

Jahre lang „verschwiegen“ wurde in den Gesprächen des neuen Paares<br />

Wilhelm–Wilhelmine, wieder den Eigennamen bekommt, und damit ihre<br />

verleugnete Identität, dank der „dezi<strong>di</strong>erten Erklärung“ Wilhelmines, gerade<br />

am 13. Jänner 1960, dem Geburtstag Bertas, heiraten zu wollen:<br />

»Mit der Erklärung Wilhelmines kam besagte Person wieder zu Ehren:<br />

sie erhielt ihren ursprünglichen Vornamen Berta zurück.« (S.V.,<br />

S. 88)<br />

Ich beziehe mich auf den Grundgedanken, dass weibliche (und/aber<br />

auch männliche, siehe den „armen“ Wilhelm seiner zweiten Frau gegenüber!)<br />

Zweitrangigkeit erstens im Auge des Betrachters und/oder der Betrachterin<br />

und durch dessen und/oder deren Worte formuliert wird, und<br />

dass <strong>di</strong>e entsprechenden Wahrnehmungsmuster ihrerseits auch auf geltende<br />

Sprachnormen zurückzuführen sind.<br />

Über Berta erfahren <strong>di</strong>e Lesenden auf Seite 6 Folgendes, und zwar unter<br />

dem (in der freien erlebten Rede reproduzierten) entscheidenden, stärkeren<br />

Blickwinkel der „Freun<strong>di</strong>n“ Wilhelmine betrachtet:<br />

»So war eben Berta Faust. Immer mit ihrem Kopf woanders; nie in<br />

der Gegenwart.<br />

27 Vgl. dazu Karsta Frank, Sprachgewalt. Die sprachliche Reproduktion der Geschlechterhierarchie.<br />

Elemente einer feministischen Linguistik im Kontext sozialwissenschaftlicher Frauenforschung,<br />

Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1992. – Frank warnt auch vor der Gefahr des Schweigens,<br />

denn »Schweigen kann Desinteresse, Ambivalenz, Mißbilligung, etc. signalisieren<br />

und dadurch bestimmte Reaktionen herausfordern oder sogar erzwingen.« (S. 52) – Frank<br />

beschreibt auch <strong>di</strong>e strukturelle Gewalt, <strong>di</strong>e aus der Habitualisierung stammt, <strong>di</strong>e »das<br />

In<strong>di</strong>viduum von der „Bürde“ der Entscheidung befreie, jede Situation Schritt für Schritt<br />

neu bestimmen zu müssen [...].« S. 2.

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