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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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210 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

ten „A-B-C“ genannt: unsere Lisa ist aber weder nei<strong>di</strong>sch noch auf andere<br />

eifersüchtig, Lisa leidet zwangsläufig an Depression, daher wendet sie gegen<br />

sich selbst <strong>di</strong>e Energie, <strong>di</strong>e sie innerhalb konstruktiver zwischenmenschlicher<br />

Beziehungen nicht verwenden kann.<br />

In der Beschreibung von Lisas Alltag taucht immer wieder das Problem<br />

der psychologischen Mü<strong>di</strong>gkeit, der moralischen und physischen Erschöpfung<br />

als Ausdruck der Handlungsunfähigkeit und der Depression<br />

auf, aber allmählich gelingt es der Hauptfigur, über sich selbst nachzudenken,<br />

sich an <strong>di</strong>e Vergangenheit zu erinnern, und <strong>di</strong>eses Erinnern ist <strong>di</strong>e<br />

Voraussetzung für <strong>di</strong>e ra<strong>di</strong>kale Verweigerung der Rolle, <strong>di</strong>e <strong>di</strong>e Gesellschaft<br />

ihr zugeordnet hat, als unverheiratete, kinderlose, allein lebende<br />

Lehrerin.<br />

»Eine wesentliche Voraussetzung für <strong>di</strong>e Verweigerung des Rollenschemas<br />

ist jedoch, dass frau <strong>di</strong>eses durchschaut und sich auf der<br />

Suche nach den Verknüpfungen ihrer eigenen Zurichtung macht.<br />

Dazu muss sie zurückkehren an den Ort ihrer Kindheit, Begebenheiten<br />

und Ängste aus <strong>di</strong>eser Zeit ausgraben, geheime Gedanken und<br />

Wünsche wiederentdecken, Verknüpfungen und Zurichtungsmechanismen<br />

enttarnen.« 49<br />

Zur Erziehungsfunktion der Literatur gehört, wie Umberto Eco im<br />

erwähnten Zitat expliziert, <strong>di</strong>e Zurichtung zum Realitätsprinzip: »das Leben<br />

ist eine Wunde«, »das Leben ist hart aber ungerecht«, das wissen wir<br />

alle, Widerwärtigkeiten sind unvermeidlich auf unseren menschlichen Weg<br />

gestreut, aber das Schwierige besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen<br />

der harten Lehre des Realitätsprinzips und dem notwen<strong>di</strong>gen Aufschwung<br />

der Phantasie, der realitätsmo<strong>di</strong>fizerenden Kraft der Utopie zu finden.<br />

Das Problem <strong>di</strong>eser existentiell notwen<strong>di</strong>gen Zur-Realität-Erziehung<br />

erscheint besonders kompliziert für <strong>di</strong>e „moderne“ Frau, <strong>di</strong>e sich im 20.<br />

Jahrhundert auf <strong>di</strong>e Sinnsuche begeben hat, auf <strong>di</strong>e Suche nach einem Sinn<br />

für sich selbst, nach einer eigenen, nicht mehr fremdbestimmten Identität.<br />

In der Vergangenheit ist der Zweck der Frauen immer ein äußerlicher<br />

gewesen: der Mann, das Kind, das große Ich (Familie, Religion, Staat).<br />

Wenn sie jetzt nicht einfach passiv und schwach gehorchen wollen, müssen<br />

sie sich selbst einen Zweck setzen, wie Luce Irigaray in Bezug auf <strong>di</strong>e<br />

Ortlosigkeit der Frauen in der Religion – d.h. auf den Verlust des göttlichen<br />

Teils der Selbstliebe – schreibt:<br />

49 Rosemarie Lederer, Grenzgänger Ich (1998), S. 121-122.

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