07.10.2013 Aufrufe

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

230 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Helene <strong>di</strong>e notwen<strong>di</strong>ge Energie, um ihre Existenz neu zu gestalten, indem<br />

sie sich dem Fluss des Lebens einfach hingibt und zuletzt auch zur Entscheidung<br />

und Initiative kommt.<br />

Aus dem betäubenden Zustand der Hausfrau hinausgeschleudert, der<br />

ihr <strong>di</strong>e Illusion von einem „immerwährenden Augenblick“ der Erfüllung<br />

eine Zeit lang vorgetäuscht hatte, muss Helene sich mit einer harten, gnadenlosen<br />

Realität konfrontieren, <strong>di</strong>e sich als „frauenfeindlich“ erweist, sie<br />

muss erlernen, eine „Rüstung“ anzuziehen, um in <strong>di</strong>e Welt erfolgreich<br />

„hinauszuziehen“:<br />

»Solidarische Wärme. Freundliches Willkommen. Fraglose Lebensberechtigung.<br />

All das erwartet uns ja nicht. Draußen. Gleich hinter<br />

der Badezimmertür beginnt der Lebenskampf.« 85<br />

Der Blick der Autorin ist sicher nicht zynisch, sondern einfach realistisch;<br />

sie lamentiert nicht über „<strong>di</strong>e Wunde des Lebens“, sondern konstatiert<br />

ohne falsche Illusionen, ohne ästhetisierende Versuche, <strong>di</strong>ese Wunde<br />

zu heilen, dass wir alle in der gegenwärtigen Gesellschaft einen Zustand der<br />

„hohen In<strong>di</strong>vidualisierung“ erleben, innerhalb eines sozialen Kontextes,<br />

der einerseits noch Züge des Patriarchates aufweist, andererseits aber <strong>di</strong>e<br />

Verwirrung der tra<strong>di</strong>tionalen Regeln, <strong>di</strong>e zugleich vorgeschrieben und negiert<br />

werden, in sich trägt. 86<br />

Da wir also ohne allgemein gültiges Lebensrezept irgendwie auskommen müssen,<br />

und keinen Gott, Pflicht, Aufgabe mehr haben – wie Marlene Streeruwitz<br />

betont –, verfügen wir aber über eine unerhörte Freiheit, <strong>di</strong>e uns zum ersten<br />

Mal in der Geschichte zu den Urhebern unseres Schicksals macht.<br />

Das ist nicht einfach zu ertragen, nicht für alle, nicht in jeder Phase unseres<br />

Lebens, denn<br />

»Freiheit ist anstrengend. Mühsam. Beschwerlich. Es muß entschie-<br />

vgl. <strong>di</strong>e Aussagen der Autorin u. a. im Interview mit Wolfgang Huber-Lang, „Die Zeit der<br />

Girlies ist vorbei“. In: Format, Wien 13. 09. 1999, Nr. 37, S. 142-143. – Dazu Streeruwitz:<br />

»Das hat auch mit dem Alter der Figuren zu tun. [...] Auch daß Frauen dann nicht mehr<br />

um jeden Preis Sexualobjekt sein müssen, ist eine Befreiung.«<br />

85 Marlene Streeruwitz, Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen. Frankfurter<br />

Poetikvorlesungen, S. 107.<br />

86 Im Interview mit Sabine Haremberg, zum Beispiel, weist Marlene Streeruwitz darauf<br />

hin, dass in einer tra<strong>di</strong>tionellen Gesellschaft das Verhalten Gerhards zumindest<br />

Skandal hervorgerufen hätte.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!