Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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52 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Sinnliche, das Körperliche, <strong>di</strong>e organischen Prozesse des Lebens luzid<br />
wahrnehmen und dabei besonderen Wert auf den Élan vital selbst legen.<br />
Die existentielle Notwen<strong>di</strong>gkeit, aus der ein Kunstwerk zu entstehen hat, ist<br />
immer in Verbindung mit einem rigorosen Anspruch zu sehen: es geht um<br />
den Anspruch der Ernsthaftigkeit des Schreibens, wie Evelyn Schlag in Bezug<br />
auf Rilke anmerkt:<br />
»Im ersten Brief an Kappus gibt Rilke <strong>di</strong>e Richtlinien vor, wenn er<br />
den jungen Dichter auffordert, sich <strong>di</strong>e Frage zu stellen, ob er denn<br />
schreiben müsse. Und wenn er <strong>di</strong>ese Frage bejahen könne, gebe es<br />
nichts anderes, als das Leben „bis hinein in seine gleichgültigste und<br />
geringste Stunde“ <strong>di</strong>esem Drang unterzuordnen.« 22<br />
Als Dichterin, als Schriftstellerin, als Essayistin, Übersetzerin, Lehrerin<br />
und Literaturwissenschaftlerin, als intellektuelle Figur verkörpert Evelyn<br />
Schlag also mit Anmut und (weiblicher?) Sensibilität <strong>di</strong>ese existentielle<br />
Notwen<strong>di</strong>gkeit und <strong>di</strong>e rigorose Ernsthaftigkeit des Schreibens.<br />
Aber eines soll betont werden: Einsamkeit, Allein-Sein beim Schreiben<br />
bedeutet bei ihr nicht Solipsismus, kein willkürliches Sich-in-den-Elfenbeinturm-schließen-Wollen.<br />
Die besondere Attitüde zur Wahrnehmung ist<br />
ja bi<strong>di</strong>rektional, und erlaubt sowohl Introspektion als auch Zuwendung an<br />
<strong>di</strong>e Anderen.<br />
Durch <strong>di</strong>e angsterregende Erfahrung der Krankheit, wie <strong>di</strong>e Zuckerkrankheit,<br />
welche sie zum stän<strong>di</strong>gen Kontrollieren des Körpers zwingt, hat<br />
<strong>di</strong>e Autorin sicher eine feine Hellhörigkeit entwickelt, <strong>di</strong>e Bereitschaft, »[...]<br />
<strong>di</strong>e eigene Befindlichkeit immer vor sich selber beschreiben zu müssen<br />
und daraus Schlüsse zu ziehen.« 23<br />
Die Gefahr des Egoismus und des Selbstmitleids kann aber vermieden<br />
werden, indem das schreibende Subjekt auf <strong>di</strong>e Mitmenschen aufmerksam<br />
ist, denn:<br />
»[...] in den besseren Momenten ist man hellhörig für das, was in anderen<br />
vorgeht, oder sensibel für <strong>di</strong>e Dinge, <strong>di</strong>e sich in einem anderen<br />
Gesicht abzeichnen.« 24<br />
22 Evelyn Schlag in „Und seiner linken Hand gegeben: sie.“ Über den Tod, das Weiterleben, <strong>di</strong>e<br />
Hand. In: Keiner fragt mich je, wozu ich <strong>di</strong>ese Krankheit denn brauche, S. 113.<br />
23 So Evelyn Schlag im Gespräch mit Ernst Grohotolsky, „Die Wahrnehmungskünstler<br />
und <strong>di</strong>e Kranken“, S. 159.<br />
24 Evelyn Schlag, ebenda.