Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 83<br />
herausfinden muss, was für ihn wichtig ist, scheint dem Vater, „auf sehr<br />
wackligen Beinen“ (BR, S. 162) zu stehen. Aber Martin erwidert in demselben<br />
Ton, indem er <strong>di</strong>eses krisenhafte Bewusstsein verallgemeinert, indem<br />
er den Vater daran erinnert, dass <strong>di</strong>e Zukunft sich nicht immer so<br />
zielstrebig und selbstsicher bewältigen lässt. Der Mensch muss ja <strong>di</strong>e Vorläufigkeit<br />
der Ereignisse, <strong>di</strong>e Fragwür<strong>di</strong>gkeit der eigenen Existenz, <strong>di</strong>e so<br />
genannte Ich-Schwäche als etwas Positives bewerten, <strong>di</strong>e dem Subjekt andere<br />
Perspektiven, andere Chancen schenkt:<br />
»Kannst du mir etwas sagen, was heutzutage nicht auf „wackligen<br />
Beinen“ steht? Denkst du, ich will mein Leben zehn Jahre im voraus<br />
planen, nur damit mir irgendein Verrückter dann einen Strich durch<br />
<strong>di</strong>e Rechnung macht?« (BR, S. 162)<br />
Die Angst, <strong>di</strong>e der Vater um seinen Sohn empfindet, ermöglicht ihm,<br />
endlich den Jungen zu berühren, indem er versucht, ihn zu verstehen. So<br />
kann er sich am Ende wieder für seine Arbeit entscheiden, aber in einer<br />
neuen, lockeren Stimmung neben Lilly:<br />
»In <strong>di</strong>esem Licht möchte ich leben, dachte Brandstetter. Ich gehöre<br />
in den Tag. Nie habe ich gewußt, daß man Zeit haben kann, wenn<br />
man nur will.« (BR, S. 168)<br />
Er weiß jetzt, dass der Mensch nicht auf ein ewiges, endgültiges Glück<br />
Anspruch hat: wir können nur <strong>di</strong>e Zeit genießen, <strong>di</strong>e einzelnen, kostbaren<br />
Glücksfragmente, wenn möglich in der Umarmung der Natur, <strong>di</strong>e über<br />
Tod und Leben entscheidet:<br />
»Wem gehörte der Tod, wem <strong>di</strong>e größere Schuld? Da und dort blinzelte<br />
etwas, das einem Anfang zum Verwechseln ähnlich sah.« (BR, S.<br />
169-170)<br />
Die Landschaft lehrt einmal noch den Menschen, dass das Geheimnis<br />
Verwandlung, Zeit, Vergänglichkeit heißt. So kann der Mensch endlich „Frieden<br />
schließen“ (»Es muss Frieden geschlossen worden sein, und ich habe<br />
es nicht bemerkt.« BR, S. 169) mit sich selbst und mit den anderen, und<br />
dann braucht er/sie, einfach nur Luft zu holen, einfach zu leben:<br />
»Das Land indessen, mit seinem Hinterland, dem endlosen Himmel,<br />
lehrte den Atem, lehrte <strong>di</strong>e Seele. Man mußte dazu nur tief und langsam<br />
Luft holen.« (BR, S. 170)<br />
Infolge <strong>di</strong>eser Akzeptierung der Realität wird sich der Protagonist vielleicht<br />
ein neues, ruhiges Leben erwerben. Er entdeckt aufs neue <strong>di</strong>e klei-