Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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180 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Denken unzertrennlich sind und beide sich weiterentwickeln im Laufe eines<br />
stän<strong>di</strong>gen Prozesses, einer Bewegung, <strong>di</strong>e „Entstehen wie Werden, Vergehen“<br />
realisiert.<br />
Die hier „gelesene“ Erzählung kann als gutes Beispiel für <strong>di</strong>ese Konzeption<br />
angeführt werden, indem sie eine Veränderung im Bewusstsein der<br />
Lesenden hervorbringen kann, für ihre Sprengkräfte, <strong>di</strong>e sich als Segen oder<br />
Fluch offenbaren, aber immerhin verändernd auswirken:<br />
»für ihre in ihr angereicherten, aber nicht so ohne weiteres sichtbaren,<br />
oftmals verborgenen – Segen wie Fluch aus sich herauswachsen<br />
lassen könnenden – Sprengkräfte. (...)« 53<br />
3.7.2. Das Scheitern am Versuch, sich dem Logos zu widersetzen. Oder:<br />
Wie kann man/frau <strong>di</strong>e Wunde nicht heilen?<br />
Berta sehnt sich nach einem anderen Lebensmodell, nach einer Innerlichkeit,<br />
<strong>di</strong>e das Alltagsleben erhellen und mit Sinn befruchten könnte, einer<br />
Dimension, <strong>di</strong>e das Äußere, das zweckmäßig Rationale transzen<strong>di</strong>eren<br />
würde. Naiv und kindlich stellt sich Berta <strong>di</strong>ese Dimension im Zeichen einer<br />
kleinen Blechmadonna vor, deren zarte Züge sie im Gesicht ihrer<br />
Tochter wiederzuerkennen glaubt. Dazu schrieb Gerhard Melzer:<br />
»Diese „Innerlichkeit“ wünscht Berta für sich und ihre Kinder herbei,<br />
und sie verknüpft damit Vorstellungen von Ruhe und Erleichterung,<br />
von Harmonie und Zwanglosigkeit.« 54<br />
Die Logik der erstarrenden Ordnung wird durch <strong>di</strong>e bösen, stän<strong>di</strong>gen<br />
Verleumdungen der „Tante Wilhelmine“ verbalisiert, <strong>di</strong>e für Tochter und<br />
Sohn Bertas <strong>di</strong>e verächtliche Bezeichnung „Brut“ anwendet, <strong>di</strong>e Klein-<br />
Rudolf <strong>di</strong>e Vaterschaft verzerrt erzählt, so dass der Knabe nicht mehr an<br />
Wilhelm als Vaterfigur denken kann, und den toten Rudolf „falsch“ erinnert.<br />
Dazu kommen <strong>di</strong>e negativen Urteile der Schule, <strong>di</strong>e Berta davon<br />
überzeugen, dass ihre Kinder nicht in ihrem wahren Wesen, mit ihren Eigenschaften,<br />
<strong>di</strong>e nur sie zu kennen scheint, von den Mitmenschen akzeptiert<br />
werden. So fühlt sie <strong>di</strong>e Sinnlosigkeit ihrer „Schöpfung“: sie hat leiblich<br />
etwas Gutes geschaffen, aber ihre Überzeugung wird durch <strong>di</strong>e bedrückende<br />
Umwelt nicht anerkannt, sondern entwertet und abqualifiziert.<br />
Als „wahre“ Mutter hat sie gewagt, das „Fleisch“ zu erkennen, und das<br />
53 Marianne Fritz, Aus Briefen der Autorin an den Lektor , S. 9.<br />
54 So Gerhard Melzer im zitierten Text„Zur ersten Prosa von Marianne Fritz“ (1980).