Das Gold von Maraskan - Darpatien

"Das wird er büßen" murmelte Odilon. Dann wandte er sich den Gefährten zu: "Keine schlechte Idee, das mit dem
Boot. Mercurio wird gar nichts anderes übrigbleiben, als nach Elburum zu gehen. Mit dem Schinakel wird er
schlecht nach Jergan übersetzen können, und für was Größeres braucht er Gold. Das hat er vermutlich in seiner
Kiste. Also, fahren wir also nach Süden."
Mit knappen Worten teilte er den beiden Matrosen ihren Entschluss mit. Die beiden schienen erst jetzt richtig zu
realisieren, dass sie sich ohne ihre Mannschaft an einer unbekannten Küste der schwarzen Lande befanden.
"Nach Elburum?" keuchte der eine, ein unscheinbares Allerweltsgesicht, dem allein sein rotbrauner Kaiser-Reto-
Bart so etwas wie eine persönliche Note gab. "Sollten wir nicht machen, dass wir uns nach Zorgan durchschlagen?“
"Und was ist mit den Toten" schluchzte sein Kamerad, ein schlaksiger schwarzhaariger junger Bursche mit
Pferdeschwanz und Ring im Ohr, der ein wenig zartbesaitet wirkte: "Wir können sie doch nicht einfach so liegen
lassen."
"Das ist richtig" meinte Odilon. "Nur fürchte ich, dass wir für eine borongefällige Bestattung keine Zeit haben.
Zumal sie in dieser Weltgegend vermutlich ohnehin sinnlos wäre." Die beiden sahen entsetzt drein. Odilon hätte
ihnen gerne erklärt, dass dort, wo sie jetzt standen, die Zwölfe so gut wie keine Macht mehr hatten, aber er wollte
sie nicht zusätzlich verunsichern.
"Weiter oben am Strand liegt allerhand Treibgut" Alrik wies in Richtung Binnenland. "Vermutlich vom letzten
Sturm da rauf geknallt. Das Zeug ist trocken und brennt vermutlich wie Zunder. Ich würde vorschlagen, verbrennen
wir die Kalten Al..." - er hüstelte erschrocken - "verbrennen wir die Toten einfach."
"Gute Idee" Unruhig sah Odilon in die Finsternis, die den weißen Sandstrand zum Meer hin abschloss, die dort
lauerte wie ein gewaltiger schwarzer Panther, der jederzeit seine mitleidlosen Katzenaugen öffnen und ihnen einen
überraschenden Tod bereiten konnte. Schwarze Lande - die schier undurchdringliche Dunkelheit passte exakt zu
dem, was sie vor ihren Augen verbarg. "Aber wir sollten uns beeilen. Die Küstenstraße ist nicht weit von hier und
die Explosion auf dem Schiff war ziemlich heftig. Könnte sein, dass wir bald Besuch bekommen."
Odilon nickte "Hört zu. Wir wollen nach Elburum, ihr nach Zorgan. Bis nach Elburum sind es nur noch wenige
Meilen, nach Zorgan entschieden länger und hierzulande ist, wie wir wissen, jede Meile Seeweg gefährlich. Wir
sollten also besser zusammen bleiben, nur dann haben wir eine Chance."
Die beiden Matrosen drucksten ein wenig herum, gaben aber schließlich nach. Sie standen noch derart unter
Schock, dass sie in diesem Moment Odilon vermutlich bis ins Riesland gefolgt wären.
Rasch waren aus dem tatsächlich reichlich vorhandenen Treibgut sowie einigen vertrockneten Strandbüschen und
Unterholz ein großer Scheiterhaufen aufgeschichtet und die angetriebenen Toten von der Fran-Horas aufgebettet,
der Zahl sich mittlerweile auf sechs erhöht hatte. Odilon goss etwas Lampenöl auf die schwarzverbrannten Leiber
und warf dann eine Fackel herein. In einer schwachen Parodie auf das Ende der Fran-Horas fauchte eine
Stichflamme hoch und bald hüllten kleine, knisternde Flammen den Holzstapel ein.
Keine wirkliche Einäscherung, aber das Feuer würde die Leiber zumindest soweit zerfressen, dass sie kein untotes
Nachleben mehr führen konnten. Dankbar registrierte Odilon, dass der Seewind den Gestank nach verbranntem
Menschenfleisch ins Landesinnere blies.
Seine Gefährten hatten den Kutter inzwischen schon in die Brandung geschoben, auch der Mast war bereits
aufgerichtet. Es dauerte eine Weile, bis sie das Boot ins freie Wasser geschoben hatten, aber dann ging alles
reibungslos und sie glitten, von einigen Ruderschlägen und einem raumen Wind im Segel angetrieben, auf den
Maraskansund hinaus durch die Nacht Richtung Süden.
Von der Fran-Horas war kaum noch etwas zu sehen, nur ab und an prallte ein längeres, verkohltes Holzstück -
zumindest hoffte Odilon, dass die schwärzlich glänzenden Klumpen nur aus Holz bestanden - gegen den Bug.
Alvan war die erste, die den Leib sah. Im ersten Augenblick befürchtete sie, es könne eine jener Algendämonen
sein, von denen sie schon einige Schauergeschichten gehört hatte, dann sah sie die Tentakel. Ihre Hand glitt zum
Entermesser. Nein, Blödsinn, das musste der Kadaver der Riesenkrake sein, der halb zerhackt im Wasser trieb und
zu schwer war, um schnell an Land getrieben zu werden. Statt zur Klinge griff sie also zu einem großen
Bootshaken, um den Kutter von dem Dekapus wegzutreiben. Wollen doch nicht hoffen, dass der auch noch untot
herumspukt, dachte sie. Dann sah sie die Frau, die, blass und mit blutender Stirn, in den verbliebenen Tentakeln
des Kraken hing. Ihre Seeuniform wies die Regungslose sofort als Kapitänin Darpfanger aus. Es war ein
merkwürdiges Bild, das hier irgendein launiger Gott geschaffen hatte, um die Sterblichen zu verblüffen: Die
Kapitänin der "Greif" in den Armen eines Riesenkraken, umringt von einem Schwarm kleiner Haien, die mit
schnappenden, zahngespickten Mäulern Fleischbrocken aus dem Ungetüm rissen. Alvan erkannte einige
Hammerhaie darunter, deren eigentümlich geformten, namensgebenden Schnauzen die Seltsamkeit der Szenerie
nur noch unterstrichen. Eilends gab sie Order, das Segel back zu brassen und mit den Rudern zu wenden, was auch
geschah.
Mit einigen Mühen und Zerren wurde die Frau mit ihren halblangen, schwarzen, leicht gewellten und natürlich
patschnassen Haaren- erst jetzt merkte Odilon, dass sie für ihr Alter eigentlich verdammt gut aussah, ins Beiboot
gezerrt. Für einen Moment öffnete sie die Augen: "Wo bin ich?"
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