Das Gold von Maraskan - Darpatien

"Im Tal der Glühwürmchen. Der Tempelschatz von Jergan, kurz vor der Eroberung der Stadt durch die bruderlosen
Dämonenanbeter dorthin gebracht durch eine Priesterin des Rur und Gror."
Der Kapitän stutzte und prustete los. "Der Schatz im Tal der Glühwürmchen. Der Tempelschatz von Jergan."
Auf der "Nachtwind" brach allgemeine Heiterkeit aus. Vegsziber hielt sich seinen dicken Bauch vor Lachen,
während ihm die Tränen von den Wangen liefen und selbst der sonst so korrekte Meldorjin konnte sich ein breites
Grinsen nicht verkneifen."
Nur langsam beruhigte sich der Schmugglerkapitän wieder. "Bei der Schönheit der Welt" gluckste er "Du wirst mir,
haha, doch nicht erzählen wollen, dass du dieses Ammenmärchen glaubst. Dieses Gerede habe ich schon gehört, als
ich ein kleiner Junge war."
Nun war es an Alvan, erstaunt zu blicken.
Mit einer Handbewegung bedeutete Vegsziber seiner Mannschaft, Ruhe zu geben. "Ich muss sagen, deine
Verteidigungsstrategie eben hat mich amüsiert. Nicht ungeschickt, fürwahr. Aber nun beleidigst du meinen
Verstand, bei der Gabe von Schwester Hesinde. Jeder weiß, dass es diesen Tempelschatz von Jergan nicht gibt und
nie gegeben hat. Das ist eine alte Geschichte, die schon in den Basaren von Maraskan kursiert ist, als die meisten
hier noch gar nicht geboren waren."
Die Baernfarn musterte ihren Gegenüber, der sich nun, in der Hitze des Tages, einen Strohhut auf den glatten
Schädel gesetzt hatte. Vegszibers Gesicht war wettergegerbt, das nun verdeckte Haupt kahl und sein Bart
schwarzgefärbt, sicherlich nicht ohne Grund. Der Kapitän zählte zweifelsohne an die vierzig Götterläufe. Wenn er
die Geschichte vom Schatz schon als Junge gehört hatte, konnte hier etwas nicht stimmen.
"Der Tempelschatz wurde erst vor wenigen Jahren vergraben, beim Auszug der Priesterschaft aus den Tempeln. Ich
glaube nicht, dass sie schon vor fünfzig Jahren bekannt war." Alvan hatte mit Bedacht eine möglichst hohe Zahl an
Götterläufen gewählt, um den eitlen Kapitän zu reizen.
"So alt bin ich nun auch wieder nicht" schnaubte der prompt zurück. "Diese Mirajida von Jergan, diese berühmte
Priesterin mit Esel und einem Krug voll Gold, soll ins Tal der Glühwürmchen aufgebrochen sein, als die Truppen
Retos in Maraskan gelandet sind. Seitdem hat man keinen lausigen Kreuzer von diesem angeblichen Schatz
gefunden, obwohl der eine oder andere Narr danach gesucht hat. Meistens hat man nie wieder etwas von ihm
gehört. Das ist eine alte Kamelle, an der soviel wahres dran ist wie ich noch Haare auf dem Kopf habe."
Der Maraskaner winkte ab. "Schon möglich, dass man sich nach der zweiten Eroberung Jergans durch die
Einzigartigen ähnliches erzählt. Es macht derartige Gerüchte nicht wahrer, dass sie irgendwann Blüten treiben wie
der Rauschgurkenbaum im Frühling. Es kommen nichts als berauschende Gurken dabei heraus..." Vegsziber lehnte
sich in seinem Sessel zurück. "Tja nun Ich stelle fest, ihr habt kein Gold und auch keine Aussicht, welches zu
bekommen. Schlecht für euch und schlecht für mich. Ihr bereitet mir wirklich nur Scherereien."
Alvan begann zu grübeln. Schon bei der Eroberung Maraskans durch Reto sollte eine Priesterin den Schatz in
Sicherheit gebracht haben - kein Wunder, dass der Kladj über das Tal der Glühwürmchen derart kursierte.
Andererseits war Alriks Großvater zu dieser Zeit noch gar nicht begraben - und die Priesterin aus Guneldes Traum
hatte ihren Krug eindeutig in einem Baum neben dessen Grab versteckt.
"In den Geschichten aus Eurer Jugend, Kapitanjin - über den Schatz im Tal der Glühwürmchen. Kam da zufällig
ein Trommelbaum vor?"
Vegsziber nickte gelangweilt. "Ja doch. Diese Mirajida soll den Schatz mitten im Dschungel vergraben und dann
Baumsamen über die Stelle gestreut haben. Den Samen eines Trommelbaums - der, sobald er ausgewachsen ist,
komische Geräusche von sich gibt. Damit sie den Schatz wiederfindet - und der Geist, der in solchen Bäumen
haust, den Schatz bewacht. Göttliche Geschwister, habe ich mich damals gefürchtet, als kleiner Shatakhopser. Ein
Schauermärchen halt..."
Letztere Worte hatte Vegsziber mehr zu sich selbst gesprochen. Erst jetzt merkte er, dass er, der furchtlose
Schmugglerkapitän, sich damit kein gutes Zeugnis bei seiner Mannschaft ausstellte, von der schon einige das
feixen begannen. Sofort straffte er sich in seinem Richterstuhl und schlug mit den Fingerknöcheln der rechten Hand
auf die Tischplatte.
"Jetzt ist aber genug mit der Märchenstunde. Ich will mein Gold, und wenn Ihr Eure Schulden bis zum Tag an Bord
dieses Schiffes abarbeitet, da Gror das Geschenk seines Bruders in Händen hält."
Alvan hörte nur mit halbem Ohr zu. Konnte es zwei Mirajidas geben? Eine, die im Jahre 6 vor Hal einen Schatz
vergraben und den Trommelbaum gepflanzt hatte und eine weitere, die im Frühling 27 Hal in dessen Inneren einen
Krug mit heiligem Wasser versteckt hatte? Oder waren im Laufe der Zeit beide Geschichten miteinander
verschmolzen? Hatte es ursprünglich nur eine Mirajida gegeben, aber wurden nun beide Priesterinnen so genannt?
Konnte es sein, dass "Mirajida II." ihren Schatz nur deswegen ins Tal der Glühwürmchen gebracht hatte, weil sie
den Ort aus der Überlieferung ihres Tempels kannte?
"Warum seid Ihr euch eigentlich so sicher, dass es sich bei dieser Geschichte nur um ein Märchen handelt,
Kapitän? Wart Ihr bereits im Tal der Glühwürmchen und habt nachgesehen?"
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