Das Gold von Maraskan - Darpatien

Damian sollten das obere Ende festhalten, die beiden waren schließlich kräftige Männer. Und wenn auch nur die
Hälfte der Geschichten stimmte, die man sich über die Abenteuer der Edlen in der Khomwüste und in Maraskan
erzählte, dann dürfte es Alvan nicht schwer fallen, sich an einem Lederstrick emporzuziehen.
Alvan schauderte. Nun, sie hatte die Geweihte gefunden, aber was half ihr das? Sie war gefangen in einer Höhle,
ihre Gefährten froren vermutlich erbärmlich, und gegen die vier Goblins musste ihr erst noch etwas einfallen. Ihren
Dolch hatte sie dabei, den Göttern war’s gedankt. Aber Missila war natürlich ohne Bogen aufgebrochen; immerhin
hatte sie aber ihr Jagdmesser bei sich, wie die Edle gesehen hatte. Randolf war gewiss kräftig, aber unbewaffnet.
Und ob der Jäger und die Bäuerin eine Waffe bei sich trugen, wusste sie nicht, vermutlich eher nicht oder allenfalls
ein Messer. Vier kräftige Goblins waren allzumal ernstzunehmende Gegner. Und sie war sich auch nicht sicher, ob
sich vielleicht noch mehr in der Höhle oder in der Nähe davon herumtrieben. Andererseits: Bei den Rotpelzen hatte
sie ebenfalls keine Waffen gesehen (oder doch? aber etwas Größeres als ein Messer wäre ihr bestimmt aufgefallen),
und sie waren einer mehr, hatten den Überraschungsmoment auf ihrer Seite und konnten vielleicht auch noch auf
die Hilfe der Geweihten zählen. Nicht zuletzt waren die Rotpelze ja für ihre Furchtsamkeit bekannt, vielleicht ließ
sich darauf eine Strategie aufbauen.
Indes toste draußen der Sturm. Die scharfen wirbelnden Eiskristalle scheuerten die Gesichtshaut der Wartenden
wund. Damian ließ das Ende des improvisierten Seiles in das Loch herab. Alvan ergriff es und zog sich daran
empor.
"Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Euch. Die Geweihte befindet sich in der Höhle, und die
Gefahr des Erfrierens droht ihr nicht. Allerdings befindet sie sich in der Gewalt von vier Njakuul." begann die Edle
ihren Bericht. Dann beratschlagten sie was zu tun sei. Schließlich schickte Alvan Missila in die Richtung, wo sie
den Eingang der Höhle vermutete, um dort die Goblins auszuspähen. In Gedanken hatte sie schon einen Plan
erdacht, aber sie wollte erst wissen, wie es am Eingang der Höhle aussah. Dann würde sie Missila, Damian und die
Bäuerin zum Eingang schicken; sie selbst würde mit Randolf in die Höhle herabsteigen. Dann würden sie
gleichzeitig von beiden Seiten losschlagen. Mit einer Wache am Höhleneingang war eigentlich nicht zu rechnen,
denn welcher Rotpelz erwartete schon bei einem solchen Schneesturm, dass die Schwarzsichler etwas anderes taten
als sich am heimischen Kaminfeuer zu wärmen. Aber sie wollte sicher gehen.
Alvan kalkulierte darauf, dass bei einem zeitgleichen Losschlagen Damian und Randolf je einen Rotpelz in einem
Überraschungsschlag ins Reich der Träume schicken könnten. Als Waffe, so die beiden nicht selbst eine mit sich
führten, würde ein Stein ausreichen, von denen genügend in der Höhle herum lagen. Es war damit zu rechnen, dass
mindestens einer der beiden Erfolg haben würde.
Zugleich würden sie und Missila mit ihren Dolchen je einen weiteren Goblin attackieren und nach Möglichkeit
überwältigen. Je nach Situation den Rotpelz mit einem Messer an der Kehle oder am Bauch (Alvan war ja eine so
zierliche Person) bedrohen und überwältigen, oder, wenn es gar nicht anders ging, Bruder Boron überantworten.
Alvan schauderte bei diesem Gedanken. Auch hierbei rechnete sie damit, dass entweder sie oder Missila
erfolgreich sein wird. Die Bäuerin Amanda würde als Ass im Ärmel dort eingreifen, wo es ihr am hilfreichsten
erschiene. Nach diesem Überraschungsschlag müssten sie mit vereinten Kräften noch zwei verbleibenden
Rotpelzen gegenüberstehen, was diese normalerweise zum Aufgeben bewegen dürfte, wenn man ihnen versprach
sie zu verschonen. Aber es hing davon ab, was Missila am Höhleneingang erspähte. Vor allem hinsichtlich der
endgültigen Anzahl und Bewaffnung der Rotpelze. Danach hieß es, die eigene Bewaffnung zu überprüfen. Da fiel
ihr etwas ein. Die kräftige Bäuerin trug ja einen langen Ledergürtel mit schwerer Schnalle. Die Eisenschnalle,
kräftig und genau geschwungen, war eine gefährliche Waffe und einem Dolch oder Kurzschwert allemal
ebenbürtig. Sie erinnerte sich daran, wie sie im Khomkrieg einen Al`Anfanischen Söldner auf diese Weise einmal
zu Bruder Boron geschickt hatte mit ihrem Gürtel. Nun, jetzt hieß es erst einmal abwarten, was Missila erspäht
hatte.
Es dauerte eine kleine Ewigkeit bis Krusa Missila (das Mädchen wurde einmal mit ihrem einen, mal mit dem
anderen Vornamen angesprochen, so dass Alvan sie zunächst für zwei unterschiedliche Novizinnen gehalten hatte)
wieder als dunkler Schemen aus dem Schneetreiben auftauchte. Der Wind riß ihr die Worte von den blaugefrorenen
Lippen, so dass es noch einmal eine ganze Weile dauerte, bis Alvan verstand, dass ihre Kundschafterin tatsächlich
den Höhleneingang gefunden hatte, bis auf einen kleinen Schlitz schon ganz unter Schnee verborgen. Von einer
Wache sei nichts zu sehen gewesen.
"Also gut... dann ma... wir es... wie besprochen... Damian, Aman... geht mit... ila... zum Eingang... greifen von zwei
Seiten an... aber lasst uns erst wieder... hinunter!" Alvan deutete auf den Spalt.
Ungelenk schlitterte Randolf am improvisierten Seil in die Tiefe. Aber auch Alvan rutschte mehr, als dass sie
kletterte. Die Kälte und die Müdigkeit machten ihr zunehmend zu schaffen. Zwar war sie es als ehemalige
Seesöldnerin gewohnt, trotz Sturm und Schlachtenlärm schwierige Entscheidungen zu treffen, aber mittlerweile
hatte der niederhöllisch kalte Wind jeden klaren Gedanken in ihrem Gehirn zu Eisstaub zerblasen. Wenn sie daran
dachte, wie viele Unwägbarkeiten auch nur ein derart schlichter Plan wie der ihre beinhaltete, bewunderte sie
Heerführer, die ganze Armeen mit einigen wenigen Befehlen in die richtige Richtung zu dirigieren vermochten.
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