Das Gold von Maraskan - Darpatien

auf welche Weise das wieder gefundene Endurium der Schönheit der Welt dient. Das darf nicht vergessen werden.
Aber dennoch habt Ihr alle, Du wie Deine Gefährten, auch gegen maraskanisches Recht verstoßen.“
Alvan war erst verwirrt. Aber dann wurde ihr klar, worauf Milhibethjida hinaus wollte.
„Vor einigen Wochen schon habe ich einen Brief von einem Kapitän Meldorjin erhalten. Er hat mich über den
Tempel in Khunchom erreicht, es hat also etwas länger gedauert. Aber schließlich können wir es nicht riskieren,
jedem Schmuggler, der uns verbunden ist, von Asboran zu erzählen. Meldorjin sah sich in der Pflicht, uns von
einem Urteil wegen Unbewusster Mordung und weiterer Delikte gegen Dich zu berichten. Kielholen, das war die
durch das zuständige Gericht festgelegte Strafe.“
„Ja, das ist richtig.“
„Es ist unverzeihlich, dass eine Priesterin der Zwillinge so eklatant gegen das Recht verstößt. Scheyhathjida, du
sollst dem Volk ein Halt sein. Das kannst Du nur, wenn Du Dich selbst immer vorbildlich verhältst. Ich wiederhole
mich. Priesterin zu sein ist kein Ehrenamt sondern eine tagtägliche Herausforderung!“
„Ja, Milhibethjida. Du hast Recht. Aber was hätte ich tun sollen? Weißt Du, was genau geschehen ist?“
„Ich habe das Gerichtsprotokoll gelesen. Meldorjin hat mir außerdem einen langen Brief geschrieben und das
Vorgefallene berichtet. Er hat mich gebeten, über die Vollziehung des Urteils zu befinden. Scheyhathjida, Du
weißt, dass nur in den allerseltensten Fällen die Priesterschaft sich schützend vor einen der Ihren stellt, der das
Gesetz bricht. Ich kann also das Urteil nicht mildern, Scheyhathjida.“
Alvan wusste nicht, was das heißen sollte. Kielholen war das Urteil. Dazu müsste man sie ja erst wieder zur
Nachtwind bringen.
„Das einzigste, was ich kann, ohne dass es der Überzeugung der Priesterschaft widerspricht, ist das Urteil zu
verschärfen.“
Jetzt war Alvan noch mehr als zuvor verwirrt.
„Außerdem kann ich es nicht zulassen, dass man Dich kielholt, solange Du ein zu stillendes Kind hast. Die
maraskanische Rechtssprechung sieht es vor, dass ein gegen eine stillende Mutter verhängtes Urteil, dass den Tod
der Verurteilten mit sich bringen kann, aufgeschoben wird bis das Kind der Mutterbrust entwöhnt ist und vom
Vater allein versorgt werden kann. Erschwerend aber kommt in diesem Fall hinzu, dass der Vater des Kindes tot
ist. Sag, Scheyhathjida, was würdest Du in meiner Situation als gerechtes Urteil sprechen?“
„Ich weiß es nicht. Ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht.“
„Ich habe lange darüber nachgedacht. Gestern im Rat der Priester haben wir einen Entschluss gefasst. Übrigens
haben wir aufgenommen, was Kapitän Meldorjin vorgeschlagen hat. Der Mann ist wirklich bewandert in der
Juristerei, das möchte man bei einem Seefahrer gar nicht vermuten. Die Vollziehung des Urteils wird aufgrund
Deiner Mutterschaft auf Drei Jahre verschoben. In drei Jahren wirst Du Dich wieder hier in Asboran einfinden.
Dann wirst Du erfahren, wann und wo das Urteil vollstreckt wird.“
Alvan war geschockt. Gewiss, nicht jeder, den man kielholte, starb dabei. Aber doch immerhin die meisten. Und
sie würde man ja zweimal kielholen, wie Kapitän Vegsziber es festgelegt hatte. Dennoch, sie konnte sich nicht
vorstellen, dass das Meldorjins Vorschlag gewesen war. Wie sollte sie den drei Jahre in der Gewissheit des
wahrscheinlichen Todes leben?
„Ich bin noch nicht fertig, Scheyhathjida. Die Rechtssprechung sieht vor, dass eine angezeigte Tat wider das Recht
ungesühnt bleiben kann, wenn das Opfer jener Tat selbst darum bittet, Milde walten zu lassen. Offenbar scheint der
Schmugglerkapitän Dich zu mögen, Scheyhathjida. Er hat in seiner Eigenschaft als Kapitän, der als solcher die
Interessen seiner Mannschaft vertritt, um Milde gebeten. Die Priesterschaft ist geneigt, dem Antrag Meldorjins zu
entsprechen. Aber sie wollen erst in drei Jahren darüber befinden.“
Milhibethjida lächelte. „Nun ja, etwas Strafe muss schon sein, da waren wir uns einig. Schließlich hat eine
Priesterin sich an härteren Maßstäben messen zu lassen als ein Bauer oder Fischer. Es liegt also an Dir, Dich zu
bewähren in den nächsten drei Jahren.“
„Jetzt bin ich ehrlich gesagt völlig verwirrt. Mit dem ganzen hatte ich nicht gerechnet. Aber Du hast Recht. Es ist
ein Urteil gesprochen worden und das kann nicht einfach übergangen werden.“
„Das Urteil hätte Meldorjin selbst aussetzen können. Schließlich ist dazu das Gericht zuständig, das es verhängt
hat, also der Kapitän der Nachtwind. Aber nachdem Du Dich auf Priesterrecht berufen hast wird das ganze
kompliziert. Nun muss nunmehr nicht nur das Urteil, sondern auch die Aussetzung desselben, durch die
Priesterschaft bestätigt werden. So hat es jedenfalls Meldorjin in seinem Brief dargelegt, und die Argumentation ist
schlüssig.“
Alvan seufzte. „Meldorjin wird das schon richtig geschrieben haben. Der Mann ist ein wandelndes Gesetzbuch.“
„Also wirst Du Gelegenheit bekommen, Dich in den nächsten drei Jahren zu bewähren. Es wird Zeit, dass Du
Deine Aufgaben als Priesterin gewissenhafter als bislang wahrnimmst. Aber eine unstete Seele wie Du wird sich
mit den Aufgaben, die bei der Betreuung eines Tempels tagtäglich stellen, wohl nicht anfreunden können. Das wäre
nicht das Rechte für Dich. Aber Rur wird sich etwas dabei gedacht haben, als er Dich nach Maraskan schickte. Du
bist zur See gefahren, bevor Du nach Maraskan kamst. Unter den Piraten des Südmeers bist Du bis zur
Richtschützen geworden. Zuvor warst Du Söldnerin. Das ist also die Welt, in der Du Dich auskennst. Fürwahr eine
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