Das Gold von Maraskan - Darpatien

Am Abend prasselte ein lauwarmer Tropenregen auf das Boot herab und durchfeuchtete ihre Hemden und Mäntel.
Sie konnten den Stoff auswringen und gewannen so etwas Trinkwasser für die Nacht.
Es wurde rasch dunkel. Das Meer war noch immer ruhig, aber der Himmel bewölkt und die Sicht schlecht. Sie
beschlossen, nur wenig zu rudern, um nicht allzu weit vom Kurs abzukommen.
Schließlich sahen sie das Licht über dem Wasser tanzen. Sigismund, der die Wache hielt, weckte die übrigen, die in
einen kurzen, traumlosen Schlaf gefallen war.
"Wa... wacht auf. I...ich glaube, die Fran-Horas i...ist zurückgekehrt." Die übrigen spähten hinaus. Tatsächlich, dort
drüben flackerte ein orangeroter Schein. Nein, es waren mehrere Lichtkegel, die mal ineinander übergingen, mal
gespenstisch auseinander schwebten.
"Das ist nicht das gleiche Leuchten wie gestern" brummte Odilon. "Meinst du...es sind Irrlichter?"
"Irrlichter auf hoher See?" Alvan schüttelte ungläubig den Kopf. "Sollen wir näher heran oder versuchen, auf
Abstand zu gehen?"
"Dort, wo das Licht ist, ist auch irgendwo die Küste. Ich denke, wir sollten uns das mal genauer ansehen."
Odilon spähte angespannt zu den Leuchtpunkten. Plötzlich schwirrte etwas von oben durch die Nacht. Sigismund,
der an einen Angriff aus der Luft dachte, ging unwillkürlich im Boot in Deckung und auch die anderen duckten
sich unwillkürlich. Irgendetwas Schweres klatschte neben dem Schinakel ins Wasser. Alvan sah einen Vogel, der
mit dem Schnabel voran ins Wasser stieß und tatsächlich mit einem zappelnden Fisch im Schnabel wieder in den
Nachthimmel zurückkehrte. Das Geräusch und der Anblick wiederholten sich mehrmals in der Umgebung des
kleinen Bootes. Schließlich sah Alvan voraus mehrere flache Fischerboote dümpeln, an deren Bug jeweils mehrere
große Laternen das Wasser erleuchteten. Die großen Vögel – das mussten Kormorane sein - kehrten mit ihrer Beute
zu den Booten zurück, wo die Fischer bereits auf sie warteten und ihnen die Fische aus dem Schlund zogen. Erst
jetzt, im Schein der Laternen, sah Alvan, dass der Hals der Vögel merkwürdig verengt, vermutlich zugebunden
war.
"Das sind Kormoranfischer" verkündete sie laut. "Der Schein der Laternen lockt Fische an und die Vögel sind
darauf dressiert, sie zu fangen und zu den Booten zu bringen. Ihre Hälse hat man mit Bindfäden zugebunden, damit
sie den Fang nicht selbst verschlingen. Wir müssen schon recht nah unter Land sein."
Nun hatten auch die Fischer die Fremden entdeckt, wie aufgeregte Sprachfetzen auf Maraskani erahnen ließen.
"Was sagen sie?"
"Ich weiß nicht genau. Das ist breitester nordmaraskanischer Dialekt. Aber ich glaube, sie haben Angst vor uns."
Alvan formte ihre Hände zu einem Trichter und rief auf Maraskanisch zurück.
"Preiset die Schönheit, Bruderschwestern. Habt keine Angst, wir führen nichts Böses im Schilde... Wir sind...
Schiffbrüchige."
Misstrauische Blicke, ein raunendes Gespräch auf Maraskanisch. Alvan konnte keine Waffen bei den Fischern
entdecken, die größer waren als Belegnägel und Taumesser. Es waren fünf Boote, zählte sie aus den
Augenwinkeln. Zwei von diesen ging nun längsseits.
"Du sprichst eigenartig. Kommt ihr aus dem Süden?" Ein alter, graubärtiger Mann mit verkniffenen Augen hatte
das Wort an Alvan gerichtet. Die Edle versuchte die Worte zu interpretieren. Irgendwie hatte die Frage
hoffnungsvoll geklungen. Meinte der Fischer mit Süden das freie Sinoda und hatte er Sympathien für den
weißmaraskanischen Widerstand? Aber Süden konnte ebenso gut die Tuzaker Gegend meinen. Sie beschloss, lieber
vorsichtig zu sein.
"Ich bin Maraskanerin" sagte sie ausweichend. "Mein Name ist Alvan Scheyhathjida und das sind meine
Gefährten."
"Ich bin Honjin und das sind meine Söhne und Töchter." Eine Aufzählung von Namen folgte, die Alvan nicht
richtig verstand. "Du siehst seltsam aus für eine Maraskanerin."
Stimmen von den anderen Fischern, die offenbar wissen wollten, was los war. Kormorangekrächze.
Der alte Mann - aber vielleicht war er auch gar nicht so alt, sondern lediglich von Arbeit und Wetter gezeichnet,
dachte Alvan - schien seltsam aussehende Menschen gewohnt zu sein. Ängstlich betrachtete er die vielen Waffen
im Boot, dann, mit noch größerer Furcht, den Magier.
"Wir sind nicht die, für die ihr uns vielleicht haltet" versuchte Alvan den Mann zu beschwichtigen, ohne die Karten
allzu offen auf den Tisch zu legen. "Wir wollen nur zur Küste. Ist es noch sehr weit?"
"Nicht weit. Ihr wollt nach Jergan?"
"Was sagt er?" plapperte Sigismund dazwischen.
"Still!“ herrschte Alvan den Helligfarn an, ehe sie antwortete. „Ja, wir wollen nach Jergan."
"Dann müsst ihr noch einen Tag nach Süden fahren. Braucht ihr Proviant?" "Ja, etwas zu essen wäre nicht schlecht.
Und zu trinken. Wir waren schon einen ganzen Tag auf hoher See."
"Gehört ihr zur Flotte des Fürstkomturs?" wollte der alte Graubart nun wissen. Seine Kleidung war für einen
Fischer auffallend bunt, wie Alvan erst jetzt bemerkt.
"Nicht direkt" sagte sie ausweichend. Hatte sie eine gewisse Ablehnung in der Stimme des Fischers gehört, oder
war dies nur Wunschdenken? Dem Maraskaner war nicht anzumerken, wie er diese Antwort aufnahm.
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