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MARIEN pdf

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Als die Kirche gesprengt wurde<br />

Ich stehe auf dem Dache unseres Hauses. Um mich herum ist ein trister und ungemütlicher<br />

Morgen aufgegangen. Heute soll es also sein. Unsere St. Marien-Kirche wird gesprengt.<br />

Glauben kann ich es immer noch nicht, denn zu viele Erinnerungen hängen an ihr. Nicht,<br />

dass ich besonders fromm gewesen wäre, nein, aber diese Kirche war für mich und alle<br />

meine Klassenkameraden mehr als eine Kirche gewesen. Sie war der Platz , an dem wir<br />

Kinder unsere Träume ausleben durften, wo es kaum Verbote der Erwachsenen gab,<br />

höchstens die des lieben Gottes. Hier war unser zweites zu Hause, hier fühlten wir uns<br />

geborgen.<br />

Ach, was war es herrlich gewesen, über eine steile Stiege in das Gewölbe zu gelangen.<br />

Wie war es toll für uns Kinder, alten Statuen mit ehrfürchtiger Angst ins Auge zu sehen.<br />

War das aufregend, mit den schon etwas Älteren in der oberen zweiten Sakristei, dort<br />

wo auch der Küster nur selten hinkam, heimlich in einer selbstgebauten Bude die ersten<br />

Züge an einer nur noch etwa 1 cm langen Zigarette zu erhaschen, welche die „Großen“<br />

uns für das holen dreier „IPLIC“ erlaubten.<br />

Nie wieder wird der Tag kommen, an dem die große Tür zum Bunker der alten Kirche<br />

offen stand, den wir durchstöberten und alten Messwein fanden. Wie stark war unser<br />

Herzklopfen, als wir auch einen Schluck mitbekamen, um die Großen nicht zu verpetzen.<br />

Wie war ich enttäuscht vom Genuss des Weines, hatte ich doch wohl eher an etwas Süßes<br />

gedacht, doch er war sauer und bitter, schmeckte einfach ekelhaft. Die Großen erklärten<br />

uns, dass unser Herrgott am Kreuze so ein bitteres Getränk bekommen hätte,<br />

ehe er starb. Für unseren Pastor wäre es jeden Tag ein ganz großes Opfer, diesen<br />

Messwein zu trinken. Wir glaubten ihnen.<br />

Meine Gedanken gingen zurück in meine Messdienerzeit. Zuerst durften wir Kleinen nur<br />

die Andacht dienen, aber wir durften läuten. Das war immer so ein Akt. Über einer kleinen<br />

und schmalen Wendeltreppe von der ersten zur zweiten Sakristei hing in einiger Höhe<br />

ein dünnes Seil, welches mit einer kleinen Glocke im Zwiebeltürmchen verbunden<br />

war. Es war schon ein irres Gefühl, da wir der Meinung waren, dass alle Menschen nur<br />

auf ihren Schlag warteten, um dadurch die Erlaubnis zu erlangten: Jetzt dürft ihr zur Kirche<br />

kommen.<br />

Und dann das alte Weihrauchfässchen und das alte Weihrauchschiffchen. Mittlerweile<br />

waren wir schon etwas älter geworden und durften bei Andachten weihräuchern. Unser<br />

Pastor tat immer besonders viel auf die im Weihrauchfass glühende Holzkohle, Es war<br />

einfach super, erlaubter Weise soviel Qualm machen zu dürfen. Als dann noch mein<br />

Schulfreund Heinz Georg die große Entdeckung machte, weiße Weihrauchkörner<br />

schmeckten wie Kaugummi, ließen wir für die nächste Zeit keinen anderen das Weihrauchfass<br />

schwenken.<br />

Ja, es war eine schöne und unbeschwerte Zeit in und um unsere alte Kirche. Die Jahre<br />

gingen dahin, und wir wuchsen heran. Bald gehörten wir zu den Großen, und auch da<br />

riss der Kontakt zu unserer Kirche nicht ab.<br />

So war es wohl auch nicht verwunderlich, dass just vor dieser Kirche ich meine zukünftige<br />

Frau kennen lernte. Sooft wie damals bin seit dem nie wieder zur Kirche gegangen.<br />

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