Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe

Werden Strafen immer härter? 215
Entkriminalisierungen oder Absenkungen von Strafrahmen gab es nur vereinzelt
(z. B. bei bestimmten Fällen des schweren Raubs, § 250 Abs. 1
StGB, von 5 auf 3 Jahre; vgl. zusammenfassend die Übersicht bei Schott
u. a. 2004, S. 30 ff.).
Wie die o. g. Beispiele zeigen, sind nicht alle Strafschärfungen oder Neukriminalisierungen
einer schlichten „Straflust“ zuzuschreiben, sondern verfolgen
teilweise vernünftige Klarstellungen oder Modernisierungen zum Schutz
bisher vernachlässigter (Behinderte, Abhängige in Therapeutenverhältnissen,
Minderjährige als „Pornodarsteller“) oder durch die technische Entwicklung
neu entstandener Opfergruppen (Verfügungsberechtigte von Computerdaten,
vgl. die Tatbestände der Datenveränderung und Computersabotage der
§§ 303a, 303b StGB).
Jedoch ist nicht zu übersehen, dass das kriminalpolitische Klima eher auf
Verschärfungen denn Liberalisierungen ausgerichtet ist (vgl. Meier 2006, S.
42, 361 ff.). Debatten in die Richtung eines moderaten Strafrechts sind
schwerer geworden und haben – abgesehen vielleicht von den Reformen
zum Täter-Opfer-Ausgleich und zur Wiedergutmachung im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht
– kaum stattgefunden. Dementsprechend sind auch die
zaghaften Versuche einer Reform des Sanktionenrechts Ende 2006 mit dem
2. Justizmodernisierungsgesetz endgültig begraben worden. Insofern hat
auch die Große Koalition nicht einmal die Kraft gehabt, offensichtliche (und
von der Wissenschaft fast einhellig als reformbedürftig angesehene, vgl.
z. B. Schöch 1992 und die Beschlüsse des 59. DJT 1992) Desiderate der
Ausweitung der gemeinnützigen Arbeit anstatt Ersatzfreiheitsstrafe oder der
bedingten Entlassung, z. B. bei Erstinhaftierten, anzugehen bzw. umzusetzen
(vgl. die Reformvorschläge der Kommission zur Reform des strafrechtlichen
Sanktionensystems von 2000 und die Gesetzesentwürfe von 2003 und 2004;
hierzu Dünkel/Morgenstern 2010).
3. Die strafrechtliche Sanktionspraxis im
Erwachsenenstrafrecht
Entscheidende Frage bleibt jedoch, inwieweit sich die entsprechenden Gesetzesänderungen
auch tatsächlich strafschärfend in der Praxis ausgewirkt
haben bzw. ob sich die Strafzumessungspraxis jenseits dieser gesetzlichen
Vorgaben verschärft hat.