Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe

Tötungsdelikte an Kindern 45
der Ethikrat für eine Schließung der Angebote von Babyklappen und anonymer
Geburt ausgesprochen. Zentrale Argumente hierbei waren, dass die Zahl
der Kindstötungen durch das Angebot anonymer Kindesabgabe nicht gesunken
ist und dass die Frauen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihr Kind
aussetzen oder sogar töten könnten, von dem Angebot der Babyklappe bzw.
anonymen Kindesabgabe nicht erreicht werden.
Ein aktueller Überblick über die englischsprachige Literatur 13 zu Neonatiziden
in westlichen Ländern beschreibt die Täterinnen als jung (spätes Teenageralter
bis in den Zwanzigern), überwiegend ohne Partner (sin-gle), leben
bei den Eltern, niedriger sozio-ökonomischer Status, verdrängt oder verheimlicht,
keine Vorsorgeuntersuchung, Angst vor den Folgen der Schwangerschaft,
ohne psychische Vorerkrankungen. In den bisher ausgewerteten
Fällen zeigt sich in der hier beschriebenen Untersuchung ein ähnliches Bild.
Angesichts des Delikts, das nur im gebärfähigen Alter begangen werden
kann, erscheint es dennoch irreführend, die Täterinnen insgesamt als auffallend
jung zu beschreiben: der Altersdurchschnitt der Mütter, die einen Neonatizid
begangen haben, ist mit etwas über 23 Jahren nur 2-3 Jahre unter
dem durchschnittlichen Alter aller Mütter in Deutschland bei ihrer ersten
Geburt, das in den entsprechenden Altersjahrgängen bei 25-26 Jahren liegt. 14
Allerdings handelt es sich bei den Täterinnen keineswegs ausschließlich um
Erstgebärende. In den bisher auswertbaren Fällen sind vielmehr über die
Hälfte der verurteilten Täterinnen zum Tatzeitpunkt bereits Mutter (eines lebenden
oder – in sehr seltenen Fällen – ebenfalls durch die Mutter gleich
nach der Geburt getöteten Kindes 15 ) 16 . Betrachtet man nur die Gruppe der
Täterinnen, bei denen das getötete Kind das erste Kind ist (N = 26), liegt das
Durchschnittsalter bei etwa 20 Jahren (Median: 19), also durchaus deutlich
unter dem Durchschnitt aller Erstgebärenden.
13 Friedman/Resnick 2009.
14 Statistisches Bundesamt 2007.
15 Die Zahl der Mehrfachtäterinnen von Neonatizid in den von uns untersuchten Fällen ist
klein (N = einstellig). Genauere Analysen hierzu erfolgen erst nach Abschluss der Datenerhebung.
16 Putkonen [u.a.] 2007b fanden in einer finnischen Studie, dass 66 % der Täterinnen bereits
vorherige Schwangerschaften hatten.