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Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe

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Theresia Höynck<br />

4.2 Zum Problem von „Aktenrealitäten“<br />

In Bezug auf die Qualität der Aktendaten bestehen verschiedene Probleme.<br />

Als das Kleinere erscheint dabei die Frage der Folgen der nicht immer optimalen<br />

Qualität des Aktenmaterials. Die Akten enthalten <strong>–</strong> theoretisch <strong>–</strong> alle<br />

im Laufe des Strafverfahrens angefallenen Dokumente, von der ersten polizeilichen<br />

Vernehmung bis zum rechtskräftigen Urteil. Praktisch ist die Aktenführungspraxis<br />

und -qualität jedoch recht uneinheitlich. Gelegentlich fehlen<br />

wichtige Unterlagen wie Gutachten oder Vernehmungsprotokolle. Wenn<br />

und soweit Aktenteile erkennbar fehlten, wurden sie erbeten und in der Regel<br />

dann auch übersandt, wenn sie vorhanden waren. Der Informationsausfall<br />

auf dieser Ebene ist angesichts der insgesamt großen Zahl vollständiger<br />

Akten und der Tatsache, dass die meisten der erhobenen Daten an mehreren<br />

Stellen der Akten auftauchen, insgesamt als eher gering zu bewerten.<br />

Sehr viel schwieriger erscheint die Frage, inwieweit die Akten „wahre“ und<br />

umfassende Informationen zu den Taten, Tätern und Opfern enthalten.<br />

Selbst wenn die Akten vollständig sind, bleibt zu berücksichtigen, dass jede<br />

Aktenrealität eine selektive ist, die möglicherweise Verzerrungen unterliegt:<br />

Zwar wird in Strafverfahren wegen Tötungsdelikten meist sehr umfassend<br />

ermittelt, auch was etwa die Hintergründe der Tat angeht. Gleichwohl dokumentiert<br />

eine Strafverfahrensakte nicht eine umfassende, objektive Rekonstruktion<br />

des Geschehenen, sondern die Bemühungen um die Aufklärung einer<br />

Straftat und die Findung einer angemessenen Rechtsfolge. Hiermit soll<br />

nicht in Abrede gestellt werden, dass die Verfahrensbeteiligten in der Regel<br />

lege artis und nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Selbst wenn man<br />

unterstellt, dies sei ausnahmslos der Fall, ist zu berücksichtigen, dass das<br />

Strafverfahren, das in der Akte dokumentiert wird, zwingend eine spezifische<br />

Verengung der Perspektive auf das zu beurteilende Geschehen bedeutet:<br />

es geht darum, einen für strafrechtlich relevant gehaltenen Sachverhalt<br />

zu ermitteln und strafrechtlich zu würdigen, nicht eine umfassende Fallrekonstruktion<br />

zu liefern. 8<br />

Unklar ist bereits, was aus der Abwesenheit von Informationen geschlossen<br />

werden kann. Man wird vielleicht bei umfassenden Ermittlungen zu den Lebensverhältnissen<br />

eines Angeklagten davon ausgehen dürfen, dass ein problematischer<br />

Drogenkonsum zum Tatzeitpunkt Erwähnung gefunden hätte,<br />

dass keinerlei Hinweis in diese Richtung also den Schluss auf Abwesenheit<br />

8 Speziell zum Prozess der polizeilichen Rekonstruktion Gloor/Meier 2009. Vgl. Kinzig<br />

2004 allgemeiner zu methodischen Problemen von Aktenanalysen.

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