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Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe

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Kriminelle Identitätskonstruktionen 489<br />

auffälligkeiten, welche durchaus im fachlichen Diskurs als Bewältigungsmodus<br />

interpretiert werden, sondern greift, ausgehend von der subjektiven Perspektive<br />

der „abweichenden Person“, vorgelagerte Diskriminierungen auf, die<br />

entlang sozialer und personeller Deklassierung zu einer diffusen Identitätsbedrohung<br />

des Subjekts avancieren und die Grundproblematik einer anschließenden<br />

„kriminellen“ Selbstdarstellungsoption im Sinne einer „Selbststigmatisierung“<br />

abbilden und damit Legitimationsoptionen für Integritätserfordernisse<br />

offerieren kann. 5 Dieser Mechanismus entpuppt sich dabei als<br />

biographisch fundierte „Hintergrundgrammatik“, die eine enorme Stabilität<br />

im Lebensverlauf aufweist und die „Selbststigmatisierung“ (Selbstkriminalisierung)<br />

bei aufkommenden Identitätsbedrohungen kontinuierlich aufscheinen<br />

lässt.<br />

Eine biographische Rekonstruktion der Lebensgeschichten von jungen Straftätern<br />

bzw. Strafgefangenen zeigt, dass bereits frühzeitig erfahrene Stigmatisierungsprozeduren<br />

von nahen familiären Bezugspersonen (Eltern, Geschwister)<br />

und später im Schulkontext ausgehend von Gleichaltrigen (und<br />

deren Eltern) sowie Lehrpersonen das Selbstbild des Subjekt beeinträchtigen,<br />

die aber entgegen klassischer Etikettierungstheorien nicht primär auf<br />

oppositionelle Verhaltensauffälligkeiten rekrutieren, sondern beispielsweise<br />

folgende dichotomisierende Bewertungselemente der persönlichen Integrität<br />

aufweisen:<br />

G.: [...], dass ich voll der Idiot bin, ich bringe eh von mir nie was auf die<br />

Reihe, warum hängt ihr mit dem ab und so? Der baut doch nur Scheiße,<br />

schau ihn doch mal an! [...] Voll der Asso hinten und so, weißt?[...] voll das<br />

Depperle und so bla, voll die Missgeburt! (Michael WI-I)<br />

Personelle Degradierungen umfassen Attribute, die das Subjekt als „geistig<br />

minderbemittelt“ („Idiot“, „Depp“, „behindert“) auszeichnen oder es, abgeleitet<br />

vom familiären Herkunftskontext, einer sozialen Deklassierung zuführen,<br />

d.h. die Person entsprechend der Herkunftsfamilie als „asozial“ etikettieren.<br />

Der unzureichende ökonomische Status der Herkunftsfamilie, aber<br />

ebenso strukturelle Unvollständigkeiten (Scheidung; Heimeinweisung), werden<br />

über Vergleichsprozesse mit der sozialen Umgebung als Benachteili-<br />

5 Hintergrund ist das noch laufende qualitativ ausgerichtete Dissertationsprojekt am Lehrstuhl<br />

Sozialpädagogik der Universität Bamberg, in dem Identitätskonstruktionen junger<br />

Strafgefangener im Hinblick auf (misslingende) Reintegrationsprozesse analysiert werden.<br />

Es wurden 30 Interviews über mindestens 3 Erhebungswellen erhoben, wobei hier<br />

nur auf denjenigen Teil Bezug genommen wird, der sich selbst als „kriminelle Persönlichkeit“<br />

inszeniert.

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