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Gewaltdelinquenz – Lange Freiheitsentziehung – Delinquenzverläufe

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Tötungsdelikte an Kindern 41<br />

eines solchen Problems erlaubt. Ob bzw. in welchem Umfang allerdings z.B.<br />

eigene Kindheitserfahrungen des Angeklagten thematisiert werden, wird<br />

auch davon abhängen, ob die Ermittlungsbehörden oder das Gericht diese<br />

Frage für relevant halten. Das Interesse der Verfahrensführenden geht naturgemäß<br />

nur so weit, wie Erkenntnisse für verfahrensrelevant gehalten werden.<br />

Besonders problematisch sind die sowohl für die juristische Entscheidungsfindung<br />

als auch für das kriminologische Verständnis eines Delikts besonders<br />

interessanten Angaben zur subjektiven Tatseite. Fraglich ist schon, inwieweit<br />

eine zutreffende Erinnerung des Täters an seine Motiv- und Gemütslage<br />

zum Tatzeitpunkt oder im Vorfeld der Tat überhaupt möglich ist.<br />

Die Vernehmungssituation kann durch Stress und die Art der Fragen zusätzliche<br />

Verzerrungen erzeugen. Hinzu kommt, dass alle im Strafverfahren gemachten<br />

Aussagen in einer bestimmten Verfahrensrolle (Beschuldigter, Zeuge)<br />

erfolgen und von daher häufig nicht ohne eigene Interessen gemacht<br />

werden. Gleichzeitig können widersprüchliche Informationen vorliegen, weil<br />

entweder Personen ihre Aussage verändern oder verschiedene Aussagen sich<br />

widersprechen. Die Darstellung der subjektiven Tatseite im Urteil suggeriert<br />

nicht selten eine Klarheit, die den Akten ansonsten nicht zu entnehmen ist.<br />

Auch dies ist kein Fehler, sondern System: das Urteil legitimiert eine Entscheidung,<br />

die Reduktion von Ambivalenzen ist das Ziel des Verfahrens.<br />

Diese Überlegungen haben Folgen für die Frage, in welchem Maß welche<br />

aus den Akten gewonnenen Informationen für zutreffend gehalten werden<br />

dürfen. Die formelle Seite des Verfahrens ist in aller Regel vollständig und<br />

zutreffend dokumentiert. Wenn es um „harte Fakten“ zu Tat, Täter und<br />

Opfer geht, die an mehreren Stellen in der Akte widerspruchslos thematisiert<br />

werden, spricht sehr viel dafür, dass die Information zutreffend ist. Je stärker<br />

es allerdings vom Einzelfall abhängt, ob bestimmte Aspekte überhaupt thematisiert<br />

werden, und je interpretationsfähiger die jeweiligen Merkmale<br />

sind, um so stärker ist zu berücksichtigen, dass die „Aktenrealiäten“ ein verzerrtes<br />

Bild zeichnen können. Die Möglichkeiten, aus Strafakten ein Delikt<br />

umfassend kriminologisch beschreiben und verstehen zu können, sind daher<br />

<strong>–</strong> wie jede andere Methode auch <strong>–</strong> begrenzt.

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