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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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119mitzuempfinden. In diesem Sinne bedeutet Mütterlichkeit soviel wie Menschlichkeit: es istein humanes Handeln über die Standesgrenzen hinweg, das „weder Anklage gegen denH<strong>im</strong>mel, noch Mitleid, noch auch jene[n] pädagogisch[en] Hohn“ (W. S. 88) bedeutet. Imähnlichen Sinne äußert sich <strong>Ina</strong> Seidel über die Aufgaben der Mütterlichkeit in demAufsatz Mütterlichkeit – Brüderlichkeit:„Aber nur, wo Mütterlichkeit sich nicht um ihrer selbst willen einsetzt, sondern sich inschwesterlicher Gesinnung dienend der Gemeinschaft aller Menschen, die guten Willenssind, einordnet, wird sie ihren Beitrag zum Frieden auf Erden zu leisten vermögen.“ 286Daraus ergibt sich, dass die Mütterlichkeit mit der <strong>im</strong> Titel dieses Aufsatzes erwähntenBrüderlichkeit einhergehen muss – erst dann kann sie sich bewahren. So gesehen erweistsich <strong>Ina</strong> <strong>Seidels</strong> Appell an die Mütterlichkeit als ein Appell an das Humane: denn dank derMütterlichkeit kann die Gesellschaft schließlich humanisiert werden. Mit diesenForderungen wiederholt die Autorin die Postulate der Theoretikerinnen des gemäßigtenFlügels der Frauenbewegung, die für eine Vervollkommnung der Gesellschaft durch diemütterliche Wirkung plädierten und die Wohltätigkeit als eine besondere weiblicheAufgabe darstellten. 287Der hier skizzierte Entwicklungsverlauf der weiblichen Hauptfigur lässt zunächstden Schluss zu, dass Cornelies Mütterlichkeit <strong>im</strong>mer mehr an Stärke und Ausmaß gewinnt:ihrer Wirkung werden <strong>im</strong>mer mehr Menschen unterzogen, bei dem Sohn angefangen, überden Vater bis hin zu dem einfachen Volk. Während sich jedoch der Handlungsraum derProtagonistin ausweitet, verliert Cornelie als Mensch <strong>im</strong>mer mehr an Individualität. Ihreindividuellen, persönlichen Wünsche werden stufenweise verdrängt oder subl<strong>im</strong>iert. DerHöhepunkt dieses Prozesses scheint in dem Moment zu liegen, als Cornelie das ihrTeuerste opfern muss: ihren Sohn Christoph. Dass sie an seiner Stelle verwaisteOffizierssöhne ann<strong>im</strong>mt, lässt sie als eine Mutter wahrnehmen, die zu einerübermenschlichen Anstrengung fähig ist. Als eine ‚entpersönlichte’ Mutter scheint siemehr die Idee der Mütterlichkeit als eine lebendige Frau zu versinnbildlichen. Man könntedie These aufstellen, dass Cornelie die Idee der Mütterlichkeit par excellence darstellt – indiesem Sinne erfährt der Begriff der Mütterlichkeit auch eine Verabsolutierung, wie sievon Georg S<strong>im</strong>mel vorgenommen wird.286 <strong>Ina</strong> Seidel: Mütterlichkeit – Brüderlichkeit. In: (Dies.): Frau und Wort. Ausgewählte Betrachtungen undAufsätze. Stuttgart 1965, S. 241-244, hier S. 244.287 Vgl. das Kapitel zu Lange und Bäumer.

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