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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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215indem er ihn an einem Selbstmordversuch hindert. Die erzählte Zeit umfasst die darauffolgenden Tage bis zum Ausbruch des Krieges und zur Mobilmachung Deutschlands. Inden Erzählstrom sind ebenfalls die persönlichen Aufzeichnungen Merulas eingebettet, diesich vor allem auf das Vergangene beziehen. Sie werden von dem Arzt in Abschnittengelesen, wodurch die zurückliegenden Ereignisse allmählich aufgerollt werden. Diepersonale Ich-Erzählerin Merula Orley fertigt ihre Aufzeichnungen stufenweise an. Es isteigentlich der Arzt Rasmus, der sie zum Niederschreiben ihrer Vermutungen undErinnerungen von dem Arzt Rasmus bringt, da er sich von ihnen eine therapeutischeWirkung und Einsicht in das Wesen ihres kranken Bruders erhofft. Denn dieKlavierspielerin glaubt daran, dass es Rasmus, der schon einmal das Leben ihres Brudersrettete, gelingen wird, den unter Verfolgungsangst und seltsamen Gemütsschwankungenleidenden Geiger zu heilen. Merula fürchtet, dass Mano seinen Selbstmordversuchwiederholen wird. Der Arzt, der sich von Merula vom ersten Blick an angezogen fühlt,schlägt ihre Bitte nicht aus.Die Gestalt der Klavierspielerin wird folglich aus zwei Perspektiven dargestellt:zum einen sieht man sie mit den Augen des personalen Erzählers Rasmus, dessenBlickwinkel auf das Äußere der weiblichen Figur beschränkt ist und welcher zumBeobachter und Analytiker der Geschwisterbeziehung wird; zum anderen hat man durchihre Niederschrift Einblick in das Innere Merulas. Es ist wichtig, zwischen diesemmännlichen und weiblichen Blick zu unterscheiden, weil dadurch die Wahrnehmung derFrau durch den Mann und ihre Selbstdarstellung getrennt analysiert werden können.Aus ihren Aufzeichnungen erfährt man, dass Merula und Manno die Kinder des berühmtenNaturforschers Andreas Martius und einer Sängerin sind, welche das häusliche Glück derSelbsterfüllung als Künstlerin 411 opferte und ihren Mann und die Kinder in früher Kindheitverließ. Die Wahrheit über das Leben und den Tod der Mutter wurde den Kindern seitensder Familie <strong>im</strong>mer verhe<strong>im</strong>licht, bis sie aus dritter Hand die Geschichte ihrer Elternerfuhren. Von früher Kindheit an wurde Merula zur Beschützerin ihres Bruders undübernahm gewissermaßen die Rolle der abwesenden Mutter. Nach dem Tode des Vatersund der Mutter wurden die Geschwister bis zum Schulabschluss von den Großeltern und411 Dass Kunst und Muttersein sich gegenseitig ausschließen, suggeriert das Schicksal Veronika Orleys.Obwohl ihre Tochter, die Klavierspielerin Merula, auch eine Künstlerin ist, scheint für sie ihr mütterlicherInstinkt, mit dem sie vor allem dem Bruder begegnet, wichtiger als das künstlerische Talent zu sein. ImRoman wird vielmehr ihr Bruder, der Geiger Manno, als der ‘wahre Künstler’ dargestellt, während Merulalediglich seine Begleiterin sein darf. Daher wird ihr die Kunst nicht, wie ihrer Mutter Veronika, zumVerhängnis, sie muss nicht zwischen der Erfüllung als Mutter und Künstlerin wählen.

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