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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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143Die Tochter betrachtet sie wie ihr Eigentum, die bevorstehende Trennung bedeutet für FrauBerngruber die Durchkreuzung ihrer Zukunftspläne und nicht die Notwendigkeit desAbschieds von einer geliebten Person:„Zwölf Jahre Mühe und Plage und Ärger und Opfer dafür, daß nun ein Alter ohne Stütze undwohlverdiente kindliche Fürsorge vor ihr läge!“ (G. S. 69)Dass sie das Kind wie ein willenloses Objekt behandelt, bestätigt auch die Tatsache, dassmit Hilfe des Mädchens Frau Berngrubers unerfüllte Lebenspläne verwirklicht undverpasste Chancen nachgeholt werden sollten. Sie will nämlich, dass Vefi, ihrerStiefmutter ähnlich, zu einer Näherin wird: in der Zukunft könnten sie eine Werkstatteröffnen, in welcher sie gemeinsam arbeiten würden. In dieser Werkstatt würde zwar Vefials die Meisterin figurieren, in Wirklichkeit würde jedoch die Berngruber das Sagen haben.Frau Berngruber ist folglich eine egoistische, auf sich selbst konzentrierte Mutter,welche das Kind quasi als Werkzeug betrachtet und für welche das Muttersein eine ArtGeschäftsbeziehung ist. Sie ist der Gegensatz einer selbstlosen und zärtlichen Mutter, fürwelche das Wohl des Kindes das höchste Ziel wäre. Um sich dessen bewusst zu werden,dass diese Haltung nicht die richtige ist, muss Frau Berngruber eine Erschütterung erleben.Zufällig wird sie nämlich dazu gebracht, einer gebärenden Frau zu helfen: diese Erfahrungmarkiert einen Wendepunkt in ihrem Leben:„Bis der Abend auch dieses Tages voll über die Erde kam […], geschah noch manches inKramerhof, was geeignet war, eine Frau Berngruber so heftig um ihre innere Achse zuwirbeln, daß sie wie be<strong>im</strong> Blindekuhspiel völlig die Richtung verlor und nicht mehr wußte,woher sie kam und wohin sie unterwegs war […]. So viel Arbeit und Qual, so viel Schweißund Blut, so viel Angst und Geschrei – bis der Mensch zur Welt geboren war […]. [FrauBerngruber] war nicht anders, als sei sie an seiner Hervorbringung beteiligt gewesen, so tiefhatte es sie in den glühenden Wirbel des Gebärens hineingerissen, so unbeherrschbar hattedie sonst so sichere Erde unter ihren Füßen gewankt.“ (G. S. 77f.)Der Anblick einer gebärenden Frau, die unmittelbare Beteiligung an einem beinahemystischen Ereignis, führt in Frau Berngruber eine tiefgreifende Veränderung herbei.Diese überwältigende Erfahrung lässt sie an ihren Lebensprinzipien verzweifeln: dieOffensichtlichkeit ihrer bisherigen egoistischen Einstellung wird in Frage gestellt.

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