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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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189Die Protagonistin ist sich aber des ihr vorgezeichneten ‚geistigen’ Weges zunächstnicht bewusst. Sie handelt zwar <strong>im</strong> Einklang mit ihrer Natur, den von ihr getroffenenEntscheidungen fehlt jedoch die bewusste Annahme. Daher muss sie <strong>im</strong> Laufe derHandlung eine Entwicklung durchmachen, deren Ziel die Selbsterkenntnis ist. Es istdeswegen von Bedeutung, dass die Protagonistin erst mit dem Überschreiten desdreißigsten Lebensjahres zum Bewusstsein des eigenen Ich kommt: diesen Reifeprozessbeschleunigt eben das Auftauchen Wendelins und Roubroucqs und die damitzusammenhängende Notwendigkeit, den eigenen Weg zu best<strong>im</strong>men. Als einzigeMöglichkeit, ihrem Geist treu zu bleiben, stellt sich die Hingabe an die Kunst heraus –diese Wahrheit wird von der Protagonistin in einem Selbstgespräch erkannt:„[…] ich war best<strong>im</strong>mt, mich ganz zu geben, und dafür hatte ich zwei Möglichkeiten, dieLiebe und die Kunst. […] Auge in Auge jetzt mit der Gottheit [der Kunst] riß sie [Mathilde]den letzten Schleier von ihrer Seele und stand nackt <strong>im</strong> scharfen kalten Licht unbedingterSelbsterkenntnis. Ich suchte Trost bei dir, Schutz, Freude, Wärme, bekannte sie, sich wohlbewusst, Sünden wider den Geist zu beichten. Den Ersatz der Zärtlichkeit suchte ich inHeiterkeiten, die ich dir zutraute […]. Aber ich hatte dich nicht gekannt und mich selbstnicht – nicht deine Forderung und nicht mein Muß, die eines Ursprungs sind und eine Kraftwie Sonne und Erde […]. Und du hast ganz genommen, was ganz dein eigen war – und hastJahr um Jahr das Ziel verlockender, strahlender, seliger gestaltet und es zugleich weiterhinausgestreckt…“ (C. S. 175).In diesem Moment der Bewusstwerdung des eigenen Ich malt Mathildekennzeichnenderweise zum ersten Mal selbstvergessen und in einem rauschähnlichenZustand ihr Selbstbildnis: „Ist Selbsterkenntnis nicht die Reife und Geburt, und hatte sieihr eigenes Antlitz nicht heut, nicht in dieser Stunde zum erstenmal erkannt?“ (C. S. 176).Als das Autoporträt fertig ist, wagt es Mathilde nicht, es genauer anzusehen, und verstecktes in einer Kiste, wo es gut „schlafen“ (Vgl. C. S. 179) soll. Sie fürchtet sich vor demSelbstbildnis, weil sie es nicht wahrhaben will, dass sie selbst ihre eigene Best<strong>im</strong>mung ist:die Kunst erfordert von ihr die Aufopferung des Lebens in der Gemeinschaft mit einemanderen Menschen; der Weg, den sie gehen muss, ist der Weg der Einsamkeit. Interessantist in diesem Kontext, dass sich eine ähnliche Behauptung in <strong>Ina</strong> <strong>Seidels</strong> unveröffentlichtenTexten findet: In einer Notiz unter dem Titel Material zur Kenntnis des Charakters derFides stößt man auf folgenden Satz:

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