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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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195Es drängt sich der Gedanke auf, dass sich <strong>Ina</strong> Seidel hier über die von Tatjanarepräsentierte Weiblichkeit lustig macht: Indem Tatjana sich den anderen Mitreisendenüberlegen fühlt und ihre besondere Stellung als eine bekannte Tänzerin genießt, die keineBücher lesen muss, entblößt sie ihre innere Leere. Dass die Tänzerin kein Innenleben zuhaben scheint, bestätigt darüber hinaus die Art und Weise, wie sie als Figur konzipiertwird: Niemals bekommt der Leser Einsicht in das Innere dieser Figur; ihre Gedankengängeund Bewusstseinsprozesse bleiben ihm verborgen. Die Darstellung Tatjanas beschränktsich auf das Äußere: charakterisiert werden nur ihr Aussehen und Verhalten.Dabei fällt auf, dass das fehlende Innenleben mit dem Fehlen der He<strong>im</strong>ateinhergeht. Denn die Protagonistin ist an keinen konkreten Ort gebunden, als eineWeltbürgerin ist sie nirgends und überall behe<strong>im</strong>atet:„Meine Jugend? Petersburg, Stockholm, Riga – mein Vater war Schwede, handelte mit Holz– wir gehörten nirgends recht hin. Er starb während des Krieges, wir verloren alles, wirgingen nach Deutschland.“ (C. S. 163)He<strong>im</strong>atlosigkeit, permanente Bewegung und Ruhelosigkeit kennzeichnen TatjanasExistenz: sie wechselt ständig ihren Lebensort und fühlt sich nirgendwo verwurzelt.Metaphorisch kommt diese Seinsweise der Hauptfigur in der Schilderung ihres Tanzeszum Ausdruck:„Tatjana war <strong>im</strong> Wind und <strong>im</strong> Duft und <strong>im</strong> Rauch, <strong>im</strong> Geschrei, in der Buntheit, <strong>im</strong> Blut –Tatjana war der Geist der Steppe, der ewig ruhelose, der Geist der kreisenden, he<strong>im</strong>atlosen,seligen, Völkerschaften…“ (C. S. 16)Die Protagonistin ist freilich nicht nur an keinen konkreten Ort gebunden: auch die sieumgebenden Menschen bieten ihr keinen Halt. Denn die Tänzerin ist <strong>im</strong> Grunde eineeinsame Frau. Ihre Einsamkeit wird besonders in ihrer Beziehung zur Mutter sichtbar, diesie zwar liebt, welcher sie sich jedoch nicht völlig anvertrauen kann. Tatjanas Mutter isteine ältere Frau, die selbst den Schutz der Tochter braucht und in einer der Realitätentrückten Welt lebt: „Mütterchen gewöhnt sich an alles, was ich will. Sie ist nun stolz aufmich. Mütterchen ist m e i n Kind – nicht wahr?“ (C. S. 164)

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