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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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235stellt. Sie engagiert sich für eine überpersönliche Idee und ist bereit, zu leiden und ihrLeben für diese Idee aufzuopfern, was vor allem die Formulierung „[es] war Möglichkeit,jung zu sein“ suggeriert.Die Terroristin ist eine aktive, starke und stolze Frau, welche sich mit dervorgefundenen Ordnung nicht zufrieden gibt. Auch wenn der von ihr gewählte Weg nurLeiden und Erniedrigung bringt, lässt sie sich nicht von ihrem Ziel abbringen: „Wie oftwar sie schon besch<strong>im</strong>pft, bespien, gesteinigt worden, - und nun, - sich fürchten?“ (J. S.226).Dabei ist es von Bedeutung, dass sie <strong>im</strong> Namen der „Brüderlichkeit“ agiert.Aufschlussreich ist, dass in dem angeführten Zitat auf Ahasverus, den Ewigen Juden,angespielt wird, der der Sage nach Jesus auf Seinem Kreuzweg gejagt haben soll. AlsStrafe wurde er dafür zur ewigen Wanderung verdammt. 434 Ahasverus verstieß somitgegen das Prinzip der Brüderlichkeit, welche jedoch zu einer Parole der anonymenProtagonistin wird. Wie wichtig die Brüderlichkeit für die Autorin <strong>Ina</strong> Seidel ist, kann mandem Aufsatz Mütterlichkeit – Brüderlichkeit entnehmen:„Die Parole der Brüderlichkeit nun scheint der Parole der Mütterlichkeit auf den ersten Blickhin zutiefst verwandt zu sein, und sei es nur, weil auch sie ein natürliches menschlichesVerhältnis auf das Ideal einer die ganze Menschheit umfassenden Verbindung mitgegenseitiger Verantwortlichkeit für das Wohl aller anwendet. Wir wissen aber, daß dieseLosung der brüderlich-schwesterlichen Verbundenheit aller Menschen eine ungleich längereGeschichte hat, als der Appell an die Mütterlichkeit der Frau. In allenOffenbarungsreligionen der alten Welt klingt sie an, für Europa aber ward sie vorzweitausend Jahren durch den Begründer des Christentums zur zwar <strong>im</strong>mer wieder mitFüßen getretenen, aber sich <strong>im</strong> Zeichen des Kreuzes mit erhabener Eindringlichkeit <strong>im</strong>mervon neuem erhebenden grundlegenden sittlichen Forderung.“ 435Indem hier die Brüderlichkeit als gleichwertig mit der Mütterlichkeit dargestellt wird, wirdsie eindeutig gepriesen. Dieser „sittlichen Forderung“ geht die jüdische Terroristin nach 436– auf diese Weise erhalten ihre Handlungen einen positiven Wert, die anonyme Frau wirdzu einer wahren Heldin.434 Vgl.: Władysław Kopaliński: Słownik mitów i tradycji kultury. Warszawa 1985. S. 1359.435 <strong>Ina</strong> Seidel: Mütterlichkeit – Brüderlichkeit. In: (Dies.): Frau und Wort. Ausgewählte Betrachtungen undAufsätze. Stuttgart 1965, S. 241-244, hier S. 242.436 Die Berufung der Frau zur Brüderlichkeit, deren Ausdruck ihre karitative Tätigkeit ist, betonen HeleneLange und Gertrud Bäumer; laut J. J. Bachofen ist die Brüderlichkeit ein Charakteristikum des Mutterrechts.

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