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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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193Tatjana ist eine junge russische Kabaretttänzerin, deren Auftritte ein breitesPublikum anziehen. Zum ersten Mal wird sie <strong>im</strong> Roman während eines Auftritts gezeigt,dem zufällig eine der Hauptfiguren, der Student Aage 381 , beiwohnt. Dabei ist eskennzeichnend, dass Tatjana nicht als Frau, sondern als Mann dargestellt wird: In derVerkleidung eines „wundervolle[n] pfauenblaue[n] Steppenknabe[n]“ (C. S. 15) tritt sie alsTänzer in der Begleitung einer russischen Konzertgesellschaft auf einer süddeutschenBühne auf.Dass Tatjana in männlicher Verkleidung tanzt, scheint eine bewussteSelbststilisierung zu sein: als Mann besitzt sie mehr Bewegungsfreiheit, die sie sich alsFrau nicht erlauben könnte. Davon zeugt die Art und Weise, wie sich Tatjana auf derBühne bewegt: Sie tanzt in „Beterhaltung rasender Extase“ und einer „unbegreiflichenkeuschen Verworfenheit“:„[Der Tänzer] wirbelte wiederum in den großen Kreisen einer Körper gewordenenNaturkraft, geriet völlig außer sich, schrie, riß die Spielenden hin zu einem unerhörtenAufbrausen ihrer winzigen Instrumente […]” (C. S. 14)Die Protagonistin spielt mit der Rolle des Mannes. Dass es sich hier um ein Rollenspielhandelt, suggeriert das folgende Zitat, in welchem Aage Tatjana als Frau entlarvt:„Denn dieser Tänzer war eine Frau, eine Frau, die in Verzicht auf die letzte Maske ihrsonderbar weißblondes Haar tief an den Schläfen heruntergescheitelt und es flach um denlänglichen Kopf herum aufgesteckt trug.“ (C. S. 15)Von besonderer Bedeutung ist das Wort „Maske“, die sich die Tänzerin anlegt: auf dieseWeise wird sie zu einer Schauspielerin, das Schlüpfen in die männlichen Kleider dient hierfolglich vor allem der Selbstinszenierung. 382 Für diese These spricht auch die nächsteEpisode, in der Tatjana gezeigt wird: Zum zweiten Mal erscheint sie <strong>im</strong> Text als einegeschmackvoll gekleidete Dame, die gar nicht an einen Steppenprinzen erinnert:381 Aage ist der Sohn Brigitte ten Maans aus dem Roman Das Haus zum Monde.382 Es lässt sich hier eine Parallele zu der Verhaltensweise der Fürstin Katharina Romanowna aus derErzählung Die Fürstin reitet feststellen: das Anziehen der Uniform eines Leutnants diente gegebenenfalls <strong>im</strong>Falle der Fürstin der Selbstinszenierung. <strong>Ina</strong> Seidel verwendet sowohl in Bezug auf die Fürstin als auchTatjana die Bezeichnung „Steppenknabe“, was um so mehr die These unterstützt, dass das Schlüpfen in diemännlichen Kleider in beiden Texten eine ähnliche Funktion hat: es verweist nämlich auf ein Rollenspiel.

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