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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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138die ‚männliche Hälfte’ des Kosmos.“ 315 Das angeführte Zitat macht vielmehr denEindruck, dass es sich <strong>im</strong> Falle der Fürstin eher um ein Rollenspiel, eine ArtSelbstinszenierung handelt, als um die Eroberung der männlichen Hälfte des Kosmos. Diemännliche Verkleidung macht es der Fürstin möglich, aus den Rollen der Mutter und derGattin ‘herauszutreten’ und die Rolle des Leutnants zu übernehmen. Dieser Rollenwechselhat zur Folge, dass sie sich auf gewisse Weise der Verantwortung als Mutter und Ehefrau‘entledigt’ und sich zugleich einen breiteren Wirkungsraum verschafft – die Rolle desLeutnants gibt ihr anscheinend mehr Bewegungsfreiheit: „Sie eilte die Treppe hinunter, dieSporen gaben eine entzückende Musik. Ihr war vogelhaft frei zumute.“ (F. S. 110)In der männlichen Uniform reitet Katharina zu der Großfürstin: Dieser Ritt derFürstin ist ein Wende- und Höhepunkt des Geschehens, nach welchem der Erzähler diejunge Fürstin konsequent den Knaben nennt und von ihr in der Er-Form spricht. Als „derkleine grüne Leutnant“ (F. S. 115) oder der „Knabe in der Uniform des preußischenReg<strong>im</strong>ents“ (F. S. 116) steht Daschkoff der Kaiserin bei den revolutionären Umbrüchen biszu der Thronerhebung zur Seite und wird zu ihrer Vertrauensperson: nach dem Verrat derZarin spricht der Erzähler in Bezug auf Katharina nicht mehr von dem ‘Knaben’, sondernvon der ‚Fürstin’. Dieses Erzählverfahren scheint nicht belanglos zu sein: es untermauertdie oben aufgestellte These, dass es sich bei der ‚Verwandlung’ der Fürstin nicht um einetief eingreifende Identitätsumwandlung, sondern um einen Rollenwechsel handelt, um das‚Ausprobieren’ einer alternativen Existenzform. Die Tatsache, dass sich eine Frau in dermännlichen Verkleidung in die Dienste einer anderen Frau stellt, könnte ebenfalls für dieseThese sprechen: in diesem Sinne würde die hier suggerierte homoerotische Beziehung 316eine Alternative bieten.Das Rollenspiel der weiblichen Hauptfigur, insbesondere der Versuch derDistanzierung von der Mutterrolle, hat für die Fürstin katastrophale Folgen. Katharina315 Ebd. S. 220.316 Diese homoerotische Komponente lässt sich darüber hinaus an einigen Texthinweisen ablesen. Dass sichdie junge Fürstin von der Großfürstin angezogen fühlt, bestätigt z. B. die folgende Szene: als KatharinaRomanowna von der Schwangerschaft der Thronfolgerin erfährt, reagiert sie mit einem Eifersuchtsausbruch,dem sich eine Krankheit anschließt: „Katharina Romanowna lag zwei Tage in einer seltsamen Apathie, ausder sie zuweilen erwachte, um krampfhaft zu weinen. Sie erklärte sich für krank und war in der Tat in einemfieberhaften Zustand.“ (F. S. 63) Die erotische Färbung dieser Beziehung bezeugt auch das folgende Zitat:„Plötzlich von der Vorstellung der körperlichen Nähe Katharinas [der Großfürstin – N. N.] überkommen,lächelte sie verklärt, senkte den Kopf und taumelte ein wenig <strong>im</strong> Sattel.“ (F. S. 53) Die Tatsache, dassKatharina die Hand der Großfürstin „leidenschaftlich“ (F. S. 67) küsst, ist auch etwas bedenklich. Zwar wirddieses Verhältnis der jungen Fürstin zu ihrer Herrscherin auch als patriotisch bedingt dargestellt: „Sie setztebei jedem die eigene schrankenlose Liebe zum Vaterlande voraus, diese Leidenschaft, die bei ihr täglichmehr mit der Bewunderung für die Kaiserin verschmolz, als seien die beiden schon eins.“ (F. S. 81); doch istdie Mehrdeutigkeit dieses Verhältnisses nicht zu übersehen.

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